06 - Weihnacht
der Wirt erkundigte sich:
„Sie haben also mit ihm selbst gesprochen?“
„Ja. Ich komme von St. Joseph.“
„Das ist interessant, im höchsten Grade interessant! Man sagt, daß er ein Deutscher sei. Wissen Sie vielleicht, ob dies wahr ist?“
„Es ist wahr.“
„Das freut mich; das freut mich ungemein! Ich bin nämlich ein so guter Deutscher, wie es drüben im alten Lande nur irgendeinen geben kann. Wissen Sie, woher er stammt?“
„Ich habe ihn nicht danach gefragt.“
„Freilich! Solchen Mann darf man nicht aushorchen wie andere Leute. Also er ist nicht mehr in St. Joseph? Wohin ist er denn?“
„Das weiß wahrscheinlich niemand außer er selbst.“
„Das ist unangenehm, höchst unangenehm!“ rief der Kellner. „Ich hätte sonst was drum gegeben, wenn ich hätte mit ihm sprechen können!“
„Was das betrifft, so kann ich Sie beruhigen. Er hat nämlich nur einen Ausflug vor und will wiederkommen.“
„Wirklich? Wirklich? Wann denn, wann?“
„Das ist noch unbestimmt. Er scheint Winnetou in St. Joseph erwarten zu müssen.“
„Winnetou? Der kommt auch? Das ist ja alles, was ich mir nur wünschen kann! Ich werde beide sehen, beide, Old Shatterhand und Winnetou! Bitte, haben Sie die freundliche Gewogenheit, uns zu sagen, was für ein Mann er ist, wie lang, wie breit, was für Augen, welchen Bart, wie gekleidet, sodann Haltung, Gang, Stimme und –“
„Halten Sie ein, halten Sie ein!“ fiel ich ihm lachend in die Rede. „Wer kann sich alle diese Fragen merken!“
„Richtig! Ich bin zu hastig gewesen!“
Er erhob sich, machte mir eine tiefe Verbeugung und fuhr fort:
„Gestatten Sie, Mylord, daß ich meine Fragen einzeln vorlege. Wie hoch ist er?“
„So hoch wie ich.“
„Wie breit?“
„Auch wie ich.“
„Hm! Gestatten Sie, daß eine innere Stimme mir immer gesagt hat, daß er viel höher und viel breiter sei! Wie ist seine Haltung?“
„Aufrecht.“
„Sein Gang?“
„Wenn er läuft, geht er mit zwei, wenn er aber reitet, mit sechs Beinen.“
„Oh, bitte, bitte, nicht solche Scherze! Ich zolle diesem Manne Gefühle, welche jeden Witz ausschließen. Was hat er für einen Bart?“
„Schnurrbart und Fliege.“
„Also auch wie Sie. Kleidung?“
„Trapperanzug aus Elkleder.“
„Mit Menschenhaar?“
„Nein, sondern mit roten Lederfransen.“
„Ja. Man weiß, daß er es nicht liebt, sich wie eine Rothaut mit barbarischen Siegeszeichen zu schmücken. Sie haben mit ihm gesprochen?“
„Ja.“
„Worüber?“
„Über Verschiedenes.“
„Hat er Ihnen von seinen Erlebnissen erzählt?“
„Nein. Aber ich habe mit ihm gegessen und getrunken, mich mit ihm rasieren lassen, in seiner Stube mit ihm geschrieben, bin mit ihm ausgegangen und habe sogar sein Waschbecken, seine Seife und sein Handtuch mit benutzt.“
„Was Sie sagen, Mylord! Das ist ja ein intimer, ein höchst intimer Verkehr gewesen, um den ich Sie beneide!“
Er stand wieder auf, verneigte sich vor mir und fuhr fort:
„Hoffentlich haben Sie die Güte, mir noch mehr über ihn zu sagen. Ich freue mich herzlich darüber, daß Sie hier bei uns wohnen wollen, und es soll mir eine hochgeschätzte Ehre sein, Sie so zu bedienen, wie ein so intimer Bekannter Old Shatterhands es verlangen kann. Kommen Sie vielleicht wieder mit ihm zusammen?“
„Ja.“
„Bitte, wann?“
„Ich werde der erste sein, der seine Rückkehr nach St. Joseph erfährt.“
„Und so lange bleiben Sie hier?“
„Ja.“
„Dann ersuche ich Sie inständigst, mich mitzunehmen und ihm vorzustellen! Wollen Sie das tun, Mylord?“
„Hm! Er ist kein Freund von neuen Bekanntschaften, und ich weiß, daß er grad jetzt mit Winnetou allein reisen will.“
„Vielleicht überlegt er sich das doch noch anders, wenn er mir Gehör geschenkt hat. Stellen Sie mich ihm nur vor, damit ich mit ihm sprechen kann!“
„Ich weiß nicht, ob es ihm lieb sein wird, wenn ich Ihnen diese Bitte erfülle. Ich habe vorhin gehört, daß Sie den Wunsch haben, sich ihm anzuschließen, gebe Ihnen aber zu bedenken, daß er kein Fremdenführer ist.“
„Was sagen Sie, was denken Sie, Mylord! Ich weiß sehr genau, was ich von ihm zu halten habe. Ich weiß, daß hundert verdiente Westmänner es für die größte Ehre halten würden, sich ihm und Winnetou wenn auch nur für ganz kurze Zeit anschließen zu dürfen, und ich bin nichts weniger als ein Westmann; aber wenn er hört was ich will, so wird er mich vielleicht nicht von sich weisen.“
„Nun,
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