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06 - Weihnacht

06 - Weihnacht

Titel: 06 - Weihnacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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welche ich damals bewohnte?“
    „Ja; sie steht Ihnen zu Verfügung.“
    „So will ich gleich einmal versuchen, ob mein heutiger Eintritt in Ihr Haus ein vom Herrn gesegneter ist.“
    Er öffnete seinen Koffer, suchte eine Handvoll Schriften zusammen, kam zu mir, legte sie vor mich hin und fragte:
    „Verstehen Sie deutsch, mein werter Herr?“
    Ich nickte.
    „So habe ich wahrscheinlich die Freude, in Ihnen einen Landsmann zu begrüßen, der das Bibelwort kennt: Der Teufel geht wie ein brüllender Löwe umher, um zu suchen, wen er verschlinge. Noch ist es Zeit, ihm auszuweichen. Erfassen Sie die Gelegenheit, und greifen Sie nach dem Rettungsanker, der sich Ihnen hier in diesen frommen Werken bietet, deren geringer Preis auf den Titelblättern zu lesen ist!“
    Mit einer Geste, als ob er mich segnen wolle, wendete er sich von mir ab und seinem Tische wieder zu, wo er sich niedersetzte, um zu sehen, ob ich lesen und auch kaufen werde. Also das war die Probe, ob sein Eintritt ein vom Herrn gesegneter sei.
    Der Amerikaner hält sehr viel auf Religiosität; darum werden in den Vereinigten Staaten mehr fromme Bücher als in andern Ländern gekauft. Herumziehende Traktätchenhändler machen kein übles Geschäft. Ein solcher Händler war dieser Prayer-man. Ich gehöre zu den Menschen, denen ihr Glaube höher als alle irdischen Angelegenheiten steht; aber das zudringliche Zurschautragen der Frömmigkeit ist mir verhaßt, und wenn jemand vor Salbung förmlich überfließt wie dieser Mann, so zuckt es mir in der Hand, und ich möchte ihm am liebsten mit einer Salbung anderer Art antworten. Ich kann mir da nicht helfen: ich muß dabei stets an die Fabel vom Wolf im Schafsfell denken. Es widerstrebte mir, die Schriften anzufassen, aber ich tat es doch, denn nicht nur der Prayer-man beobachtete mich, sondern auch der Wirt und der Kellner sahen zu mir her. Ich wollte nicht in den Verdacht kommen, ein Verächter der Religion zu sein, und sah die Sachen durch.
    Es waren Predigten und fromme Abhandlungen in englischer und in deutscher Sprache; auch kleine Gebetbücher und Liedersammlungen gab es dabei; doch stießen mich die meisten Titel schon ab. Da stand zu lesen: ‚Himmelsrettung eines räudigen Erdenschafes‘, ‚Psalterklänge auf fünf Seelensaiten‘, ‚Kanzeldonner für verfluchte Menschenschlangen‘, ‚Religiöses Fernrohr zur Entdeckung des Wegs zur Seligkeit‘. Ich mag vielleicht unrecht haben, aber solche Bezeichnungen empören mich. Die Sprache soll für das Höchste, was der Mensch besitzt, die edelsten ihrer Worte haben; hier aber war es trivialisiert. Ein einziges kleines Heftchen hatte einen Titel, der mir wenigstens nicht widerwärtig war; er lautete: ‚Sechs ergreifende Festgedichte für Weihnachten, Ostern und Pfingsten‘. Es kostete fünfundzwanzig Cents, war also teuer genug. Ich behielt es, ohne hineingesehen zu haben, schob die andern Sachen fort und legte das Geld darauf. Da kam der Prayer-man wieder, nahm Geld und die Hefte zu sich und sagte:
    „Mein Freund, Ihre Auswahl ist eine sehr bescheidene. Es ist die Pflicht eines jeden guten Christen, die heilige Religion zu unterstützen; sie aber scheinen mehr an den irdischen Gütern als an den himmlischen zu hängen; darum gebe ich Ihnen zu bedenken, daß einem jeden dereinst mit demselben Maße gemessen wird, mit dem er hier gemessen hat. Ihre Sparsamkeit wird Ihnen keinen Lohn im Himmel bringen!“
    Ich hatte mit dem Manne gar nicht reden wollen, konnte mich aber jetzt nicht enthalten, ihm zu antworten:
    „Das lassen Sie meine Sorge und nicht die Ihrige sein! Behalten Sie Ihren geistlichen Rat für sich, um den ich Sie nicht gebeten habe!“
    Er wollte etwas erwidern, denn er öffnete schon den Mund dazu, aber die Veränderung, welche in meinem vorher gleichgültigen Gesichte unwillkürlich vorgegangen war, schien ihn zu belehren, daß Schweigen jetzt besser sei als Reden; er wendete sich mit einer hochmütigen Handbewegung von mir ab, legte die Drucksachen in den Koffer, zog ein Exemplar der Gedichte, die ich behalten hatte, hervor und gab es dem Wirte mit den Worten hin:
    „Als Gast dieses Hauses kann ich von Ihnen keine Bezahlung fordern. Ich verehre Ihnen diese sechs ergreifenden Festgedichte unentgeltlich zum Heile Ihrer Seele. Ich erweise Ihnen diese fromme Aufmerksamkeit auch deshalb mit, weil ich eines dieser Gedichte hier in Weston erhalten habe.“
    „Hier? Von wem?“ fragte der Wirt, indem er das Heft aufschlug.
    „Von einer sehr

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