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06 - Weihnacht

06 - Weihnacht

Titel: 06 - Weihnacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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darüber sagen wird, das ist freilich eine andere Sache.“
    „Aber Sie kennen ihn. Er hat Ihnen sogar erlaubt, Ihre Hände mit ihm in dasselbe Waschbecken zu tauchen; er würde also einen Wunsch von Ihnen nicht ganz unberücksichtigt lassen. Würden Sie, Mylord, vielleicht die große Güte haben, mir ein Empfehlungsschreiben an ihn mit nach St. Joseph zu geben?“
    „Warum nicht? Ich bin gern bereit, Ihnen diesen Wunsch zu erfüllen, kann Ihnen aber nicht versprechen, daß dieses Schreiben auch wirklich den beabsichtigten Erfolg haben wird.“
    Da stand er auf, verbeugte sich dreimal, und zwar tiefer als vorher, und sagte:
    „Ergebensten Dank, Mylord! Der Erfolg wird nicht auf sich warten lassen. Gestatten Sie, daß mir eine innere Stimme sagt, daß ich auf jeden Fall ein Totem bekommen werde. Sie meinen also, ein solches für einen Apatschenstamm würde am vorteilhaftesten sein?“
    „Ja. Freilich hätten Sie dann von hier aus eine größere und gefährlichere Reise, als wenn Sie sich nördlicher wohnenden Indianern anschließen wollten. Das bringt mich auf die Frage, wie es mit Ihren Fähigkeiten bezüglich einer solchen Reise und eines Aufenthaltes in der Wildnis steht.“
    „Oh, was das betrifft, so bin ich gesund, ausdauernd und habe gelernt, ein Pferd zu regieren. Da ich meinen Zweck bei allem, was ich tat, im Auge behielt, habe ich mich während meines Aufenthaltes in St. Louis sehr fleißig im Gebrauch der Waffen geübt. Ich bin zwar kein Präriemann, darf aber sagen, daß ich unter zehn Schüssen sechs- oder siebenmal das Schwarze treffe.“
    „Das ist allerdings ganz hübsch, aber wenn man einen guten Westmann erzählen hört, erfährt man freilich, daß Scheibenschüsse, und wenn auch hundertmal ins Schwarze, einem richtigen Savannenläufer gar nicht imponieren können.“
    Wir wurden jetzt gestört, denn der Kellner hatte einen jetzt eben eintretenden neuen Gast zu bedienen. Dieser war einem Geistlichen ähnlich ganz schwarz gekleidet und glatt rasiert und hatte einen kleinen Handkoffer bei sich. Er gab sich ein frommes, würdevolles Aussehen, zu welchem aber, wie ich nicht jetzt gleich, sondern später erst bemerkte, sein unsteter und ruhelos umherforschender Blick nicht recht passen wollte.
    „Ah, der Prayer-man (Prediger)“, sagte der Wirt, indem er auf ihn zuging, um ihn mit der Hand zu begrüßen.
    „Ja, der Prayer-man“, näselte der Fremde salbungsvoll. „In dieser sündhaften Welt ist der Prayer-man notwendiger als jeder andere Mann. Die Menschen wollen sich nicht mehr von Gott strafen lassen; sie wandeln die Wege des Verderbens, und wenn nicht eine zweite Sintflut kommen und alles Lebende verderben soll, müssen die Gott treu Gebliebenen versuchen, die Irrenden auf den Pfad des Glaubens zurückzuführen. Grad hier an der Grenze zwischen der Zivilisation und dem Wilden Westen treffen die Kinder dieser Welt zusammen und verderben durch ihr Beispiel die wankenden Seelen, welche vielleicht noch zu retten wären.“
    „Leider, leider ist das so!“ stimmte der Wirt bei. „Können Sie sich besinnen, daß wir bei Ihrer letzten Anwesenheit davon sprachen, daß der Händler, welcher da gegenüber wohnte, sein Haus und Geschäft verkauft hatte und nach Memphis ziehen wollte?“
    „Ich kann mich nicht mehr darauf besinnen!“
    „Ich dachte, Sie wüßten es noch. Er hatte den Kaufpreis ausgezahlt bekommen; es wurde aber, ich glaube zwei Tage nach Ihrer Abreise, bei ihm eingebrochen; das Geld war fort.“
    Da schlug der Prayer-man entsetzt die Hände zusammen und hob die Augen fromm empor und rief:
    „Welch eine Sündhaftigkeit! Du sollst nicht stehlen! Wer dies Gebot nicht achtet, ist unwürdig, das Reich Gottes zu erben!“
    „Und drüben in Plattsburg geschah ein ganz ähnlicher Fall, einen oder zwei Tage vorher, wenn ich mich nicht irre. Pretter, der Advokat, hatte einem Klienten zweitausend Dollars auszuzahlen, konnte das Geld aber nicht gleich an den Mann bringen, weil dieser verreist war; da kamen die Einbrecher und holten es. Sie kennen doch den Advokaten?“
    „Nein, denn die Kinder der Seligkeit vermeiden allen Zank und Streit; sie führen keine Prozesse und brauchen also auch keine Advokaten!“
    „Ich dachte, Sie wären damals von Plattsburg direkt nach Weston herübergekommen!“
    „Ich wandle die Pfade meines himmlischen Berufes und merke mir die irdischen Wege nicht. Jetzt will ich einige Tage hier in Weston bleiben. Kann ich die kleine, bescheidene Stube wiederbekommen,

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