060 - Trip in die Unterwelt
und schwere, alte Umhänge, die feucht waren und Leichengeruch verströmten. Die Masken stellten Hexenköpfe mit Zahnlücken, haarigen Warzen und Flachshaar und phantastische Dämonenfratzen dar.
Noch immer war ich nicht fähig, an etwas anderes zu glauben als an einen besonders schlechten Scherz der Sarden.
In ihrem Sessel wimmerte Angela in panischem Schrecken.
Die Männer umtanzten mich. Ich drehte den Kopf von einer Seite zur anderen und schrie ihnen in meinem schlechten Italienisch zu, sie sollten sofort verschwinden, sonst würde ich die Polizei rufen. Sie blieben jedoch vollkommen ungerührt.
Ich fühlte, wie ohnmächtiger Zorn in mir hochstieg. Einer der Vermummten schrie einige Befehle in dem unverständlichen Dialekt der Gegend. Die Maskierten und Dämonentänzer drehten sich daraufhin alle zu mir um und setzten sich hin. Durch die Öffnungen der Masken kamen keuchende Atemzüge. Ich sah die Augen nicht, aber ich merkte und fühlte, dass sie mich alle anstarrten und beobachteten.
War ich ihr Opfer?
Sie spielten auf ihren Instrumenten weiter. Die schauerliche Musik und die Flammen, die aus dem Kamin hoch flackerten, verwandelten meinen Schrecken in Angst. Hier geschah etwas Unbegreifliches. Das war kein Scherz mehr. Aber es schien auch keine reale Bedrohung zu sein.
Die Musik schwoll an. Die Takte wurden schneller, die Klänge lauter.
»Raus!«, schrie ich, und meine Stimme überschlug sich fast. Angela schwieg und versteckte ihr Gesicht in den Händen.
Jetzt stimmten die zwölf Männer einen einförmigen, auf- und abschwellenden Singsang an.
Ich drehte mich um. Nur weg von hier, dachte ich.
Das streng riechende Blut auf meinem Hemd, in meinem Gesicht und auf dem Pullover begann zu trocknen. Ich griff nach der Taschenlampe und den Autoschlüsseln und stürzte auf die Tür zu. Sie klemmte. Ich stemmte mich mit aller Kraft gegen die Wand und zerrte an der schweren Messingklinke. Die Tür sprang mit einem scharrenden Knarren auf.
Ich sah das nächste Schreckensbild. Auf einem verkrüppelten Olivenzweig, der in den Boden jenseits der Schwelle aus Granit gerammt war, steckte der nasse, blutbesudelte Kopf eines geschlachteten Esels. Die Ohren schwankten im Wind. Aus den Nüstern tropfte Blut.
Ich prallte zurück und hörte mich aufschreien. Aber es waren nicht die gebrochenen Augen des geschlachteten Tieres; es waren strahlende Kristalle, die in dem Licht, das aus dem Zimmer fiel, wie Brillanten glitzerten.
Die Seelenkristalle?
Ein unerklärlicher Zwang, gegen den ich machtlos war, trieb mich vorwärts. Hinter mir hatten die Sänger und Musikanten eine Pause eingelegt. Die Stille unterbrach nur der heulende Wind.
Ich griff nach dem Olivenzweig, riss ihn aus dem Boden und drehte mich um. Mit der einen Hand griff ich nach dem schweren Kopf, mit der anderen riss ich die Kristalle, die so groß wie Tischtennisbälle waren, aber eine raue, harte Oberfläche hatten, aus den leeren Augenhöhlen.
Aufgeregt sprangen die Maskierten auf und riefen sich unverständliche Worte zu. Ich ließ die Kristalle in meiner Hosentasche verschwinden und bückte mich nach dem Autoschlüssel. Die Tänzer kamen drohend näher und schwangen ihre Instrumente wie Waffen. Einige hielten die rostigen Ketten, die sie als Gürtel oder um den Hals trugen, in den Händen und schwenkten sie wie Totschläger hin und her.
»Zurück! Lasst mich!«, schrie ich auf Italienisch.
Sie kamen näher. Ich hob den Eselskopf hoch. Das alles war reiner Wahnsinn! Ich erlebte einen Albtraum, ohne zu merken, dass ich eingeschlafen war. Flüchtig erinnerte ich mich daran, was Angela über die Brandmarkung und die Seelenkristalle gesagt hatte.
Die Männer folgten mir mit unverkennbar drohendem Ausdruck.
Was sollte ich tun?
Ich warf den Kopf und traf den ersten Maskierten, der sich eben auf mich stürzen wollte. Der Mann fiel rückwärts, aber die nachschiebenden Körper fingen ihn auf. Als der Kopf zu Boden polterte, ließ ich den Zweig durch die Luft sausen und trieb die Männer mit wuchtigen Schlägen auf die großen Maskenköpfe ins Zimmer zurück. Dann floh ich. Sie hatten Angela bis jetzt nichts getan, sie würden mich verfolgen und die junge Frau vergessen.
Hinter mir her gellten wütende Schreie.
Ich rannte die Mauer entlang und sah meinen Wagen. Natürlich stand er mit dem Heck zur Straße. Ich hastete über den Kies, welkes Laub und Holzreste, fand den Schlüssel, rutschte aber ab, als ich mich an der Motorhaube festhalten wollte. In
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