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060 - Trip in die Unterwelt

060 - Trip in die Unterwelt

Titel: 060 - Trip in die Unterwelt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dämonenkiller
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schrie nicht mehr. Dafür begleiteten die Musik jetzt dumpfe Schreie, und die Lampen schaukelten noch immer über die Felder.
    Diese Atmosphäre hätte mich an sich zum Schreiben anregen müssen; aber ich war wie gelähmt. Passierte mir nie – oder jedenfalls so gut wie nie, dachte ich, als ich mich gegen den Sturm stemmend die ausgewaschenen und seit Jahrhunderten ausgetretenen Stufen der Treppe hinuntertastete.
    Endlich erreichte ich den schmalen Lichtspalt, der unter der Tür hervorsah. Rauchige Luft und der Geruch nach Zigaretten und schalem Wein schlug mir entgegen, und es roch auch nach dem alten Gemäuer, das fast siebzig Jahre alt war.
    Ich schloss die Tür, zog den Ersatz-Regenmantel aus, setzte mich, rauchte eine Zigarette und starrte das weiße Blatt in der Maschine an.
    Nichts.
    Ich schrieb einen dreizehnten oder vierzehnten Anfang. Irgendwo in meinem Schädel entstand eine Idee, doch sie verschwand so schnell, dass ich gar nicht richtig mitbekam, dass ich soeben einen roten Faden für die Handlung gesehen hatte.
    Plötzlich ein leises, aber forderndes Pochen an der Tür. Der Mann im feuchten und muffigen Schafspelz fuhr hoch und griff zu der Waffe.
    Als ich unterbrach und nach dem Weinglas griff, pochte es an die Tür.
    Ich erschrak, hielt mitten in der Bewegung inne. Zwei Sekunden lang wagte ich nicht zu atmen. Die Zigarette verqualmte im Aschenbecher. Dann klopfte es erneut. Ich sprang auf. Im gleichen Moment verzischte ein Harztropfen oder ein Wassertröpfchen im Feuer.
    Ich zuckte zusammen. Der Stuhl fiel polternd um, und dann war ich an der Tür und riss sie auf – viel zu schnell.
    Ich traute meinen Augen nicht.
    »Angela!«, sagte ich und ließ pfeifend die Luft aus den Lungen. »Angela, was tust du hier?«
    Ohne zu überlegen, hatte ich sie geduzt. Sie schien es nicht zu merken. Mit ihren fahlblauen Augen, die fast gletscherhaft und milchig wirkten, sah sie mir direkt ins Gesicht. Sie trug einen Schaffellmantel, das Leder nach außen gekehrt.
    Ich ergriff ihre eine Hand und zog sie in den schmalen Eingang des Hauses. Sie schüttelte den Kopf. Haarsträhnen, die unter ihrem Kopftuch hervorsahen, waren nass.
    »Ich muss dich warnen, Signore Valgruberre«, sagte sie leise, aber eindringlich. Meinen Namen sprachen sie hier immer so oder noch schlimmer aus.
    »Ich bin Arnoldo«, sagte ich und nahm ihr den schweren Mantel ab; durch die Nässe wog er noch mehr. »Warnen? Wovor? Komm, trink einen Schluck Wein!«
    Ich nahm ihre Hand. Ihre Finger waren warm, aber seltsam leblos. Sie erwiderten den Druck meiner Hand nicht. Ich zog Angela in die Richtung des Feuers. Sie bewegte sich mit traumwandlerischer Sicherheit. Ich packte sie leicht an den Oberarmen, drückte sie in den Schaukelstuhl links von der Kaminöffnung und sagte: »Du siehst verstört aus. Hat dich jemand erschreckt?«
    Ohne auf ihre Antwort zu warten, füllte ich ein zweites Glas halb voll und drückte es in ihre Hand. Angela war seit ihrem neunten Lebensjahr blind. Ihr Vater hatte nicht Acht gegeben, als er voller Begeisterung das Haus baute. Kalk war in ihre Augen gekommen, der Netzhaut zerstörende Dampf, der aus ungelöschtem Kalk aufsteigt, wenn man ihn wässert. Die blinde junge Frau mit dem dicken, langen Haar und dem mandelförmigen Gesicht drehte den Kopf herum und sagte: »Ich bin gekommen, um dich zu warnen, Signore Arnoldo.«
    Es war unglaublich. Die alte und arme, dafür aber ausgesprochen stolze und etwas mittelalterliche Familie, aus der sie kam, wäre mehr als nur entsetzt gewesen, wenn sie gewusst hätte, dass ihre unberührte Tochter nach Mitternacht das Haus eines Fremden besuchte. Aber Angela entzog sich jeder Beurteilung. Sie war eine merkwürdige Frau. Oft war sie tagelang verschwunden; niemand sah sie gehen oder kommen, aber immer wieder kehrte sie unversehrt und offensichtlich glücklich zurück.
    »Wovor willst du mich warnen?«, fragte ich.
    Sie ließ die Hände mit dem Glas in ihren Schoß sinken. Angela trug enge Jeans und einen Pullover, der ihren Körper modellierte. Ihre Figur war ohne jeden Makel.
    »Ich mag dich, Arnoldo!«, sagte sie und lächelte verloren.
    Trotz der blinden Augen hatte ihr Gesicht eine überraschend große Ausdrucksfähigkeit. Ich begann dumpfe Furcht zu spüren. Die Familie war immer besorgt, sie vor allen fremden Einflüssen zu bewahren. Sie las, das hatte man mir gesagt, ungeheure Mengen in Blindenschrift und sprach ziemlich gut Deutsch und Englisch; sie hatte es im Selbststudium

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