0603 - Die Pestklaue von Wien
ebenso, aber …«
»Ich habe nicht durchgedreht.« Isabel konnte die Stimme nur mit Mühe unter Kontrolle bringen. »Die Hand war fort. Sie hat sogar Spuren an der Scheibe hinterlassen.«
»Und weiter?«
»Nichts weiter.«
»Keine Zeugen?«
Isabel ballte die Hände. Sie ärgerte sich über die Sachlichkeit ihrer Freundin. »Nein, auch keine weiteren Zeugen.«
»Dann wirst du es aber schwer haben, deine Behauptung aufrechterhalten zu können«, erklärte Romina mit leicht spöttisch klingender Stimme. Sie strich über das Haar ihrer Freundin. »Schätzchen, jeder von uns macht mal Fehler und ist überdreht. Alles nicht schlimm, wir haben öfter einen Blackout. Passiert mir auch, nicht nur Politikern. Deshalb würde ich mich nicht aufregen. Ich mache dir einen Vorschlag zur Güte. Wir beide gehen jetzt nach unten in die Bar und nehmen einen knackigen Drink. Dann sieht die Welt ganz anders aus.«
Isabel de Dijon schüttelte den Kopf. »Romina, ich weiß, daß es nicht einfach ist, mir zu glauben, das weiß ich wirklich. Du hältst mich für eine überspannte Ziege…«
»Das hast du gesagt.«
»Ich kenne dich doch. Aber tu mir einen Gefallen und schau dir die Spuren wenigstens einmal an. Du brauchst nur zum Fenster zu gehen, da kannst du die langen Kratzer erkennen. Die gekrümmten Finger haben sie von oben nach unten gezogen.«
»Wenn es dir was bedeutet…«
»Ja, das tut es.«
Romina hob die Schultern und näherte sich mit ihrem tänzelnden Schritt dem Ziel. Klar, daß sie nicht davon überzeugt war, das wußte auch Isabel, aber sie sollten sich die Streifen wenigstens anschauen und ihr bestätigen, daß sie keiner Täuschung erlegen war.
Isabel stand auf. Sie ließ Romina etwas Zeit. »Na?« fragte sie, »was siehst du?«
Romina nickte, ohne sich dabei umzudrehen. »Da sind tatsächlich Streifen zu erkennen.«
»Habe ich dir doch gesagt.«
»Ja«, lachte sie, »ob die aber tatsächlich von deiner komischen Hand stammen, ist nicht gesagt, Schätzchen. Oder?«
»Doch.«
Sie drehte sich um. »Das mußt du erst noch beweisen.«
Isabel überlegte, dabei blieb sie stehen. Sie spürte das Kratzen in der Kehle, konnte kaum sprechen und wollte etwas trinken. »Warte noch, Romina, ich gehe nur ins Bad, um einen Schluck Wasser zu nehmen. Bis gleich.«
»Okay. Ich muß auch wieder zu meinen Gurken.«
»Das kannst du.«
Isabel eilte ins Bad und wäre fast ausgerutscht. Im letzten Augenblick klammerte sie sich am Rand des Waschbeckens fest. Weshalb war ihr plötzlich übel? Warum spürte sie den immensen Druck auf ihrem Kopf, als wäre etwas geschehen?
Sie beugte sich vor, ließ Wasser laufen, füllte es in ihre zusammengelegten Hände und schleuderte es in ihr Gesicht. Das Wasser rauschte aus dem Kran, übertönte viele Geräusche, aber längst nicht alle.
Sie hörte den Schrei.
Einmal, dann noch einen und einen dritten, der furchtbar und grauenhaft klang, wie von Todesangst diktiert.
Sie richtete sich auf. Ein Klirren drang an ihre Ohren, und sie wußte, daß es in ihrem Zimmer aufgeklungen war.
Sofort dachte sie an die Hand!
»Lieber Gott, laß es nicht wahr sein. Bitte, lieber Gott, gib, daß ich mich irre.« So flüsterte sie die Worte und merkte selbst, daß sie am gesamten Körper zitterte.
Sie wartete auf den nächsten Schrei, nur hörte sie den nicht. Im Zimmer blieb es ruhig.
So unnatürlich ruhig.
Das Mannequin gab sich einen Ruck. Sie ging auf die Badezimmertür zu und kam sich dabei vor wie ein künstliches Geschöpf, das ferngelenkt wurde. Wo war ihr Wille? Wo ihre Kampfbereitschaft?
Wo die Neugierde, Wahrheiten zu erfahren?
Weg, verschwunden…
Wind blies ihr entgegen, zusammen mit dem Lärm von der Straße, die Kärntner Ring hieß. Das Klirren, der Schrei, sie konnte sich einiges zusammenreimen, aber sie wollte es plötzlich selbst sehen. Ja, sie mußte einfach nachschauen.
Dann stand sie in der Tür. Sie stand da, bewegte sich nicht und hatte das Gefühl, als wäre alles nicht wahr.
Nicht die zerbrochene Scheibe, nicht die zahlreichen Splitter auf dem Teppich und auch nicht die zierliche, schwarzhaarige, junge Frau, die auf dem Boden lag.
Sie sah so aus, als hätte sie ihr Gesicht in den weichen Teppich gepreßt.
Vielleicht war es auch nicht mehr vorhanden. Möglicherweise war es ihm so ergangen wie dem übrigen Kopf, der von einer mörderischen Gewalt eingeschlagen worden war.
Die Hand, dachte Isabel, die Hand, es war die Hand, mein Gott, das ist unglaublich…
Vor ihren
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