0603 - Die Pestklaue von Wien
Fingernägel, die in ihre Handballen stachen.
Dann zog sich die Hand zurück…
Sehr lässig beinahe, als wollte sie ihr noch einmal gönnerhaft zuwinken.
Tief atmete Isabel ein. Sie schloß dabei die Augen, sagte sich, daß alles nur ein Traum gewesen war, schaute wieder hin und konnte das Dach der Wiener Staatsoper erkennen, so frei war ihr Blick geworden, denn die Klaue sah sie nicht mehr.
Sie kippte zur Seite. Es war nurmehr ein vorsichtiges Fallen mit geschlossenen Augen. Erst als sie die Bettdecke berührte, kam ihr richtig zu Bewußtsein, daß sie noch lebte. Überlaut vernahm sie das Freizeichen aus dem Hörer. Sie legte ihn auf, ohne sich dessen bewußt zu werden, hielt die Augen weiterhin geschlossen und sagte sich, daß sie einem Alptraum erlegen war.
Sie hatte alles nur geträumt. Furchtbar mußte es gewesen sein. Der Gang durch die Katakomben hatte von ihr erst verarbeitet werden müssen. Ja, so mußte es gewesen sein. Es hatte keine Riesenhand vor dem Fenster gegeben, das alles war nur Einbildung gewesen.
Sie fror. Isabel trug nur mehr das über ihrer Brust verknotete Handtuch, es war einfach zu wenig. Dieser kalte Schauer brachte sie wieder zurück in die Realität.
Behäbig richtete sie sich auf. Trotz des Schauders klebte Schweiß auf der Stirn. Frieren und schwitzen zugleich, das Gefühl, Schüttelfrost zu haben, Fieber und auch Angst. – Die Hand fiel ihr wieder ein. Das Herz schlug schneller, und sie traute sich kaum, auf das Fenster zuzugehen. Dann tat sie es doch, und zwar mit schleichenden, vorsichtigen Schritten, als hätte sie Furcht davor, daß die Hand noch einmal zuschlagen könnte.
Sie erschien nicht, und sie tauchte auch dann nicht vor der Scheibe auf, als Isabel de Dijon vor ihr stehenblieb, nach draußen schaute, anfing zu lachen und das Erscheinen der Riesenklaue einfach für einen bösen Traum hielt.
Wenn da nur nicht diese Streifen gewesen wären…
Isabel wollte es nicht so recht glauben. Sie schaute genauer hin, suchte die Streifen ab, tastete auch nach ihnen, um festzustellen, daß sie außen entlangliefen.
Wer hatte sie hinterlassen?
Knallhart fiel es ihr ein. Sie spürte den Druck, der ihren Magen umkrampfte. Schwindel packte sie, so daß sie einen Schritt zurückgehen mußte.
Natürlich, die Hand. Das war kein Alptraum gewesen, sie hatte die Klaue tatsächlich gesehen.
Isabel de Dijon überkam wieder das Zittern. Verzweifelt dachte sie darüber nach, wer ihr in dieser Lage helfen konnte. Bestimmt keine Polizei, dort würde sie nur ausgelacht. Vielleicht sollte sie mit Romina sprechen. Sie war ihre beste Freundin in der Mannequin-Truppe.
Ja, Romina würde Verständnis haben.
Isabel zog nichts über, als sie das Zimmer verließ und über den Flur lief. Ihre nackten Füße tappten auf dem Teppich. Es befand sich niemand in der Nähe, nur weiter entfernt hörte sie die Stimmen einiger Gäste, die sich auf Deutsch unterhielten.
Rominas Zimmer lag nicht weit entfernt. Drei Türen nach der ihren, auf der linken Seite. Laut atmend blieb sie davor stehen, klopfte an und rief den Namen.
Romina öffnete nicht. Da versuchte es Isabel selbst. Die Türen besaßen noch die alten geschwungenen Klinken aus Metall, die schwer unter der Handfläche lagen und sich etwas schwerfällig bewegten, wie auch bei Isabel.
Sie mußte den Jubelschrei unterdrücken, als sie feststellte, daß die Tür nicht verschlossen war. Vorsichtig schaute sie in den Raum und hörte Rominas Stimme aus dem größeren Raum. »He, wer ist da?«
»Ich – Isabel.«
Ihre Kollegin lachte. »Ja, komm ruhig. Ich liege hier auf dem Bett, Süße.«
»Bitte, steh auf.«
»Das geht nicht.«
»Wieso…?«
»Komm schon her.« Die Stimme der zierlichen Romina klang ärgerlich. »Dann wirst du es sehen.«
Sie lag tatsächlich auf dem Rücken, und zwar rücklings. Das Mannequin war so gut wie nackt. Ein dünner Hauch von schwarzer Spitze bedeckte ihre Scham, das war alles. Aber sie sah so aus, daß sich Isabel beinahe erschreckt hätte, denn auf ihrem Gesicht lagen grüne Scheiben auf einer weißen Schicht.
»Gurken, Schätzchen«, erklärte Romina, die aus dem Tessin stammte. »Gurken sind gut für die Haut. Deshalb mache ich mal wieder eine Gurkenkur.«
Isabel de Dijon nickte. »Kannst du… kannst du die nicht unterbrechen?«
»Nur ungern und nur auf besonderen Wunsch.«
»Ich wünsche es mir.«
»Weshalb denn?«
Isabel trat von einem Fuß auf den anderen. Plötzlich kam sie sich lächerlich vor. »Ich
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