0603 - Nächte des Schreckens
Schatten waberten in den Ecken wie lebendige Wesen, überall hingen Spinnweben. Der Geruch von Alter und Staub lag in der Luft.
Links und rechts zweigten Korridore zu weiteren Zimmern ab, in denen jedoch niemand ›wohnte‹, weil die anderen Studenten es alle vorgezogen hatten, sich im ersten Stock des Hauses einzuquartieren.
Nur sie war so dumm gewesen, sich hier oben ihr Zimmer zu suchen. Warum, vermochte sie selbst nicht zu sagen. Vielleicht hatte sie ihren Kommilitonen oder Professor Derleth damit beweisen wollen, daß sie durchaus in der Lage war, allein auf sich aufzupassen.
Was auch immer sie dazu verleitet haben mochte, inzwischen bereute sie ihre Entscheidung.
Während sie den Gang entlangmarschierte, pfiff sie leise die Melodie irgendeines Popsongs vor sich hin, um die herrschende Stille zu durchbrechen. Zwar versuchte sie sich einzureden, daß es in diesem Haus nichts gab, wovor sie sich fürchten mußte. Doch die Sache mit Jack Collins ließ sich nicht aus ihrem Hinterkopf vertreiben. Sicher war es möglich, daß sein Zusammenbruch eher zufällig gewesen war, daß das Marsten-Haus dafür nicht die Verantwortung trug. Aber wenn sie ehrlich war, war sie davon nicht besonders überzeugt.
Ihr Instinkt sagte ihr, daß etwas in diesem Haus vorging, das sich mit rationalen Mitteln nicht fassen ließ. Daß etwas seit fast zweihundert Jahren in dem Gebäude auf Opfer lauerte wie eine Spinne in ihrem Netz.
Etwas Unberechenbares.
Etwas Gefährliches.
Etwas durch und durch Böses…
Unwillkürlich bildete sich eine Gänsehaut auf den Armen der jungen Frau. Verkrampft pfiff sie weiter die Melodie vor sich hin, während sie ihren Blick nervös durch den Korridor wandern ließ. Obgleich niemand zu sehen war, hatte sie plötzlich das ungute Gefühl, beobachtet zu werden.
Automatisch beschleunigte sie ihre Schritte.
Als sie die Tür ihres Zimmers fast erreicht hatte, blieb sie mit einem Mal so abrupt stehen, als wäre sie gegen eine Wand gelaufen. Ihre Stirn legte sich in Falten.
Was war das eben für ein Geräusch gewesen?
Sie lauschte.
Im ersten Moment hörte sie nichts, doch dann vernahm sie das Geräusch erneut.
Es war ein tiefes, rasselndes Schnauben.
Unruhig schaute sich Cindy Warner um. Doch wie zuvor war niemand zu sehen. Der Korridor lag verlassen vor ihr.
»Wer ist da?« sagte sie nervös.
Keine Antwort.
Nur dieses dumpfe, angestrengte Schnauben.
Sie versuchte es erneut, bemüht, ihrer Stimme einen ruhigen Klang zu verleihen, obgleich ihre Knie weich wie warmes Gummi waren. »Wer ist da? Josh, das bist du, oder? Komm raus, ich weiß, daß du es bist!«
Keine Reaktion.
Langsam bekam es die junge Frau mit der Angst zu tun. Sie durchforschte das Zwielicht des Korridors nach der Quelle des unheimlichen Geräuschs und stellte fest, daß das Schnauben aus dem angrenzenden Gang zu kommen schien. Offenbar stand jemand hinter der Ecke, wartete…
Langsam setzte sich Cindy in Bewegung. Sie ging jetzt rückwärts auf ihre Zimmertür zu, die noch etwa fünf Meter entfernt war.
Ihr Herz raste. Schweiß glänzte auf ihrer Stirn. Sie war sich nicht sicher, was diese Sache zu bedeuten hatte. Gut möglich, daß sich ihre Kommilitonen einen Scherz mit ihr erlaubten.
Aber ihr fehlte der Mut, der Angelegenheit auf den Grund zu gehen. Denn was, wenn es nicht Burt oder Josh oder Frank oder Karen waren, die hinter der Ecke standen und schnaubten, um ihr einen Schrecken einzujagen?
Was, wenn es irgend etwas anderes war?
Cindy tastete nach hinten, während das Schnauben anhielt, und sie war froh, als sie schließlich mit dem Rücken gegen die Tür stieß.
Hastig griff sie nach dem Knauf, schloß die Finger um das kühle Messing, drehte sich um…
Unvermittelt wurde das Schnauben lauter, schwoll zu einem wütenden Keuchen an.
Gleichzeitig erklangen dumpfe Schritte, wie von schweren Stiefeln, die sich Cindy näherten. Sie klapperten hohl auf dem Holzboden des Korridors.
Die Studentin stieß einen ängstlichen Laut aus. Sie drehte den Knauf und riß die Tür mit einem Ruck auf.
Schnell schlüpfte sie durch den Spalt und schlug die Tür hinter sich zu, um sich mit dem Rücken dagegenzulehnen.
Sie hörte, wie die Schritte den Korridor entlangkamen und direkt vor ihrer Zimmertür verharrten.
Cindy hielt den Atem an. Schweiß rann ihre Wangen hinab.
Zehn endlose Sekunden lang war es völlig still.
Dann entfernten sich die Schritte wieder.
Cindy seufzte und schloß erleichtert die Augen. In ihrem Kopf
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