0603 - Nächte des Schreckens
verlassen?«
»Nein«, sagte Cindy. »Sie… sie ist gestorben.«
»Wie?«
»Selbstmord«, erwiderte die Studentin langsam. »Sie legte sich in Jacks Wohnung in die mit warmem Wasser gefüllte Badewanne. Dann schnitt sie sich mit seinem Rasiermesser die Pulsadern an Händen und Füßen auf. Als Jack von der Uni nach Hause kam, war sie bereits tot.«
Zamorra kratzte sich nachdenklich am Kinn. »Ich nehme an, Sadies Tod hat Collins stark mitgenommen?«
Cindy nickte. »Er war danach nie wieder derselbe«, sagte sie. »Zwar war er nach außen hin immer noch der Spaßvogel, der er vorher gewesen war, aber er hatte sich verändert.«
»Inwiefern?«
»Ich glaube, er hat sich schreckliche Vorwürfe wegen Sadie gemacht. Er konnte mit ihrem Tod einfach nicht fertigwerden. Oft hatte er so einen komisehen Ausdruck in den Augen. Düster und grimmig. Ich denke, er hatte Schuldgefühle. Er gab sich die Schuld an ihrem Selbstmord. Und möglicherweise war das sogar angebracht.«
»Wie meinen Sie das?«
Plötzlich wirkte die Studentin verlegen. Sie rutschte auf dem Klappstuhl herum, wich Zamorras Blick aus. »Also, eigentlich geht mich das im Grunde gar nichts an…«
»Kommen Sie schon, Cindy. Sie brauchen sich nicht zu genieren. Niemandem ist daran gelegen, Jack irgendwas ans Zeug zu flicken.«
Cindy Warner dachte einen Moment lang nach, dann nickte sie schließlich. »In Ordnung. Ich schätze, es ist keine große Sache, wenn ich es Ihnen erzähle. Nach dem Tod von Sadie haben eine Menge Leute sowas vermutet, obgleich Jack es niemals zugegeben hat.«
»Was?«
Cindy atmete einmal tief durch. Dann sagte sie: »Angeblich war der Grund für Sadies Selbstmord, daß sie… daß sie schwanger war. Sie erwartete ein Kind von Jack, doch er wollte es nicht. Bea Jensen, die neben Jack wohnt, will mehrmals gehört haben, wie sie sich lautstark darüber stritten. Ein paar Tage vor Sadies Tod soll Jack sie vor die Wahl gestellt haben. Entweder er oder das Kind.«
»Puh.« Zamorra schnaufte. »Starker Tobak.«
»Soviel zu dem ›netten Jungen‹«, seufzte Derleth.
Cindy sah Zamorra an. »Glauben Sie, daß das Haus etwas mit dem zu tun hat, was mit Jack geschehen ist?«
Zamorra zuckte die Achseln. »Durchaus möglich. Zumindest würde sich Collins plötzlicher Wahnsinn lückenlos in den Kontext der übrigen Zwischenfälle einfügen, die sich hier in dieser Villa ereignet haben. Oder nicht, Professor?«
»Doch«, stimmte Derleth zu. »Durchaus. Allerdings will ich nicht hoffen, daß es wirklich das Marsten-Haus war, das ihm den Verstand raubte. Denn wenn das zutrifft…«
»Was ist dann?« fragte Cindy beunruhigt.
»Dann wird kein noch so einfühlsamer Psychologe in der Lage sein, Jack Collins zu helfen«, sagte Derleth düster. »Denn das Haus läßt seine Opfer nicht entkommen. Niemals…«
***
Cindy Warner ging die Treppe in den zweiten Stock hinauf, wo sich das Zimmer befand, in dem sie sich einquartiert hatte. Sie fragte sich, was bloß an diesem Professor Zamorra war, daß er sie so sehr faszinierte. Schließlich sah er nicht besser aus als jeder griechische Durchschnittsgott.
Vermutlich war es seine Intelligenz, die sie ansprach. Sie hatte schon immer ein Faible für gescheite, reifere Männer gehabt.
Als ihr bewußt wurde, daß sie allen Ernstes über die Vor- und Nachteile eines Professors der Parapsychologie nachdachte, der sich vermutlich sowieso in festen Händen befand, stieß sie ein resigniertes Seufzen aus. Irgendwie schien sie sich immer in Männer zu verlieben, die mindestens so unerreichbar wie die Venus für sie waren.
Dann wurde ihr klar, daß sie mehr über Professor Zamorra als über den bedauernswerten Jack Collins nachdachte, und ihr Gesicht verfinsterte sich. Jack und sie waren gute Freunde gewesen, waren auch schon mal intim miteinander geworden. Cindy schämte sich ein wenig, weil sie trotz des Elends, das Collins zugestoßen war, über sich und Zamorra nachdachte.
Einen Moment später erinnerte sie sich aber daran, daß sich Sadie wegen Jack die Pulsadern aufgeschnitten hatte. Ja, er war nicht weniger eigensüchtig gewesenen als sie.
Gleichwohl tat er ihr leid. Wenn es den Ärzten nicht gelang, ihn in die ›wirkliche Welt‹ zurückzuholen, würde Collins wohl den Rest seines jungen Lebens in einer geschlossenen Anstalt verbringen.
Was für ein Schicksal.
Cindy verdrängte den Gedanken. Sie ging den Gang entlang, an dessen Ende sich ihr Zimmer befand. Der Korridor war düster und modrig.
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