0610 - Pilgerflug nach Terra
Atlans Psychogramm stirnrunzelnd.
„Es ist typisch für Ihre Situation". meinte er dann, „daß Emotionen wie Haß und Wut Ihre anderen Gefühle verdrängen.
Wenn Sie sich dennoch nicht gehen lassen, dann nur deshalb, weil Sie Ihren Aggressionstrieb unterdrücken. Ohne diese Selbstbeherrschung würden Sie zu einem Amokläufer werden.
Ich könnte mir vorstellen, daß schon die geringste Kleinigkeit Sie in Rage versetzt."
Atlan warf ihm einen wütenden Blick zu.
„Mir gefällt zum Beispiel auch nicht die Art, wie Sie über mich sprechen, Professor."
„Ich spreche nur nüchtern und distanziert über Ihr Krankheitsbild", meinte Eysbert leichthin. „Das ist kein Grund für Ihre angestaute Aggression, nach einem Ventil zu suchen. Dazu kommt noch, daß Sie ein Extrahirn mit Logiksektor besitzen, das in der Lage ist, Ihre Emotionen zu kontrollieren."
„Werden Sie nicht zu persönlich, Eysbert", sagte Atlan angriffslustig.
Obwohl sich Eysbert äußerlich weiterhin ruhig gab, spürte er wachsende Besorgnis. Anscheinend hatten sich in Atlan Aggressionen angestaut, die sein Extrahirn nicht mehr kontrollieren konnte.
„Was haben Sie bei der Durchleuchtung meiner Seele gefunden, das Sie so erschreckt?" fragte Atlan.
„Nichts, Sir, was ich Ihnen nicht gesagt habe", antwortete Eysbert.
„So?" Atlan näherte sich ihm. „Verschweigen Sie mir auch nichts?"
„Natürlich nicht", erklärte Eysbert fest.
Atlan kam noch näher.
„Sind Sie ganz sicher?" fragte Atlan lauernd. Plötzlich begann er zu schreien. „Sie verschweigen mir etwas!
Glauben Sie, ich sei nicht imstande, die Wahrheit zu ertragen?
Los, rücken Sie schon mit der Sprache heraus! Oder muß ich Sie erst unter Druck setzen?"
Eysbert wünschte sich in diesem Moment, Takvorian möge einschreiten, um Atlan zu stoppen. Aber es war sein eigener Wunsch gewesen, daß der Movator bei dieser Untersuchung nicht dabei war. Jetzt bereute er das allerdings.
Er wußte, daß Atlan nur einen letzten Anstoß brauchte, um seinem Aggressionstrieb freien Lauf zu lassen. Eysbert suchte verzweifelt nach einem Ausweg, aber er fand keinen. Eysbert wußte, was er in diesem Augenblick auch tat, es wäre das Falsche. Er konnte nur dastehen und hoffen, daß Atlans Extrahirn wieder die Oberhand gewann.
Eysberts Rettung kam in völlig unerwarteter Form.
Die Alarmsirene heulte auf, und die monotone Robotstimme verkündete: „Alarm an alle Stationen. Tausende von Raumschiffen sind aus dem Linearraum aufgetaucht und nähern sich in geschlossener Formation dem Solsystem."
Atlan war plötzlich wie verändert.
„Gefahr!" sagte Atlan mit einer Stimme, als erwache er gerade aus einem Traum. „Tausende Raumschiffe sind im Anflug!
Entschuldigen Sie, Professor, wenn ich die Sitzung unterbreche.
Aber ich muß in die Kommandozentrale!"
Eysbert atmete auf. Der Alarm war gerade im richtigen Moment gegeben worden. Aber abgesehen davon - es war äußerst beunruhigend, daß sich einige tausend Raumschiffe der Erde näherten.
Der Kosmopsychologe ahnte, daß die Entwicklung nun in jene unheilvolle Phase getreten war, die ihnen Nathan für die nächste Zukunft prophezeit hatte.
All die Menschen, die in den eineinhalb Jahrtausenden über die ganze Galaxis ausgeschwärmt waren, verspürten nun den Wunsch, in ihre Heimat zurückzukehren.
5.
Sildona Montez blieb noch einmal stehen und blickte zurück.
Abraham-Town lag wie eine Spielzeugstadt zwischen den saftiggrünen Hügeln eingebettet: durch die Gassen und Straßen zogen die Schwaden des Morgennebels. Die Hügelkette reichte bis zum Horizont, Zeta Brahama, die Sonne, die ihr von Geburt an Licht gespendet hatte, ging gerade als glutroter Ball auf. Hinter den Hügeln lagen die endlosen Kornfelder - noch gestern Symbol ihrer Zukunft, aber schon heute verlassen, nur noch von vorprogrammierten Robotern betreut.
„Wofür geben wir das alles auf?" fragte Sildona Montez ihren Mann, der ihr die Hand um die Schulter legte und sie fest an sich preßte. An ihren Schenkeln spürte sie den Druck ihrer beiden Kinder Burt und Effie, 10 und 7 Jahre alt, die sich an ihrem Kleid festklammerten, um in dem Gedränge nicht verlorenzugehen.
„Blick nicht zurück, Sildi", sagte ihr Mann Dion. „Vielleicht kehren wir eines Tages hierher zurück. Das wird die Zukunft weisen. Aber jetzt fliegen wir in unsere wahre Heimat!"
„Nicht stehenbleiben!" rief jemand von unten. „Weitergehen, los, marsch, marsch! Wir können uns keine Verzögerungen
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