0618 - Der Mondschein-Mörder
lief ein schwacher, elektrischer Strom. Sie fürchtete sich instinktiv davor, wollte aber nicht kneifen und nahm es dann mit einer heftigen Bewegung an sich. Einen Moment zögerte sie noch, dann schlug sie das Buch auf und begann einige Sätze zu lesen.
Die Frau schauderte zusammen. Es war ein Blutbuch, eine gefährliche Schrift. Sie merkte genau, daß mehr als Worte überkamen und klappte es schnell wieder zusammen.
Bleich geworden, setzte sie sich in ihrem Büro wieder hinter den Schreibtisch und dachte nach. Dieser Titel war ihr nicht unbekannt gewesen. Sie hatte ihn schon einige Male gehört oder von ihm gelesen. Nach einer Weile des Nachdenkens kam sie endlich auf die Lösung.
Ja, jetzt wußte sie es. Jüngst war genau dieser Titel in den Bestsellerlisten bis zur Spitze vorgestoßen. Er hatte sich wahnsinnig gut verkauft Der Mondschein-Mörder war zu einem Renner geworden.
Er wurde von allen Bevölkerungsschichten gelesen, aber er mußte mehr als ein Buch sein.
Madame Imelda hatte es gespürt. Nicht grundlos war die Warnung über sie gekommen. Irgend etwas war mit dem Buch, das, wenn sie es aufschlug, so normal wie jedes andere aussah.
Madame Imelda gehörte nicht zu den feigen Personen. Sie beschloß, sich näher mit dem Titel zu beschäftigen und ihn mit nach Hause zu nehmen. Sie wollte ihn am Abend lesen.
Es war Zeit für sie, Feierabend zu machen. Ein Kunde kam nicht mehr. Die Frau schlüpfte in den künstlichen Pelz und steckte das Buch in ihre Handtasche.
Mit der U-Bahn fuhr sie hinaus nach Belgravia, wo sie in einer Dachwohnung lebte.
Auch mit fünfzig war sie noch attraktiv genug, um Männerblicke auf sich zu ziehen. Ein wenig erinnerte sie an Elizabeth Taylor, diese dunkelhaarige Schönheit mit dem feinen Gesicht. Auch die Haare der Madame Imelda waren dunkel gefärbt. Sie nahm nur wenig Rouge und wenig Schminke. Damit aber erreichte sie optimale Erfolge.
An der üblichen Station stieg sie aus, kaufte noch eine Zeitung, wechselte mit dem Verkäufer einige Worte und fragte beim Weggehen wie nebenbei: »Kennen Sie eigentlich das Buch der Mondschein-Mörder?«
Die Augen in dem zerfurchten Gesicht des Mannes fingen an zu leuchten. »Klar, ist doch ein Bestseller.«
»Das hörte ich.«
Er winkte ihr zu, und Madame Imelda kam näher. »Hören Sie mal, haben Sie auch das Ende gelesen?«
»Nein.«
»Sollten Sie aber, denn dort steht, daß der Mörder kein Papiertiger ist.«
»Was heißt das denn?«
Der Mann gab die Antwort schnell, bevor andere Kunden kamen.
»Er kehrt zurück, es gibt ihn wirklich. In dem Buch wird vor ihm gewarnt. Jeder Leser sollte die Warnung beherzigen.«
»Nun ja, ich…«
»Lesen Sie es, Sie werden sich wundern.«
»Danke für den Rat.«
In ihrer Wohnung, das war der spitze Aufbau auf dem Dach des Hauses, legte sie zunächst den Mantel ab, ließ Wasser in die Wanne laufen, um ihr abendliches Bad zu nehmen.
Sie liebte das Badezimmer, das so anders aussah. Es war sehr geräumig, darin hatten noch Möbel Platz, und es gab die großen, bis zum Boden reichenden Spiegel, die versetzt zueinander standen, so daß sich die Person im Bad immer sehen konnte.
Zum abendlichen Bad gehörte das abendliche Glas Champagner, auf das sie einfach nicht verzichten wollte. Mit in die Wanne würde sie auch das Buch nehmen.
Die ovalen Ausmaße der Wanne boten reichlich Platz für zwei Personen, und die Ränder waren breit genug, um all die Zusätze und Essenzen aufzunehmen, mit denen die Frau ihren Körper pflegte.
Es waren biologische Produkte. Auf den Flaschen standen keine Designernamen irgendwelcher Modeschöpfer. Sie hatte sich eine Mischung ausgesucht, die auch schäumte, denn einen großen Berg aus Schaum mußte sie einfach auf dem Wasser haben.
Sie ging auf die tiefer gelegte Wanne zu. Ihren Bademantel – außen Seide, innen Frottee – hatte sie lässig über den rechten Arm gehängt und ließ ihn erst fallen, als sie dicht vor der Wanne stand. Aus den nach oben gebogenen Kränen floß noch Wasser zu. Nicht weit entfernt stand der mit Eis gefüllte Kühler, aus dem der Hals einer Champagnerflasche hervorlugte. Sie besaß einen Spezialverschluß, der das wertvolle Getränk noch einige Tage unter Druck hielt, auch wenn die Flasche schon geöffnet worden war.
Neben dem Kühler lag das Buch. Außen rannen an dem Metall die Tropfen in langen Bahnen und rollten auch in nassen Streifen über die Fliesen. Einige von ihnen hatten das Buch benetzt.
Madame Imelda stieg in die Wanne.
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