0618 - Der Mondschein-Mörder
beschrieben worden, es gab auch eine Kehrseite, aus der der Mondschein-Mörder hervorgegangen war.
Seine Gestalt geisterte wie eine furchtbare Drohung durch die Zeilen.
Es kam zum ersten Mord!
Madame Imelda zeigte sich fasziniert von der Beschreibung. Normalerweise wurde sie von Brutalitäten abgestoßen, in diesem Fall jedoch las sie weiter, sie fieberte mit, und sie fragte sich, als sie den Schluß des ersten Kapitels erreicht hatte, ob sie den Mörder nun bewundern sollte oder nicht.
Irgendwo war er bewundernswert. Jedenfalls hatte der Autor es geschafft, ihn so nahe zu bringen.
Der Mondschein-Mörder hatte gewonnen, das erste Kapitel schloß mit dem Mord ab.
Madame Imelda legte das Buch zur Seite. Sie atmete tief aus. Die Geschichte hatte sie mitgenommen und war nicht so einfach zu überwinden. Sie mußte sich eine Pause gönnen, bevor sie weiterlesen konnte. Über die Größe ihres Badezimmers hatte sie sich stets gefreut, auch über die Helligkeit, denn Spiegel und an bestimmten Stellen angebrachte Lampen sorgten für das Besondere dabei.
In diesem Augenblick jedoch kam ihr das eigene Bad anders vor.
Es hatte zwar seine Ausmaße behalten, schien ihr persönlich allerdings zu einem Raum geworden zu sein, der sich um die Hälfte verkleinert hatte. Die Spiegel waren nicht mehr so blank, auch nicht durch Wasserdampf beschlagen, nein, sie hatte das Gefühl, als wären die Flächen dunkler geworden, bedeckt von irgendwelche Schatten, die sich wie ein Hauch über sie gelegt hatten.
Plötzlich fröstelte sie…
Einen Grund dafür gab es nicht. Der Raum war geheizt, das Wasser besaß ebenfalls eine angenehme Temperatur. Noch lag der Schaum dicht und fest auf der Fläche, aber das alles konnte sie nicht von dem Gefühl der allmählich anschleichenden Furcht befreien.
Etwas stimmte nicht.
Sie drehte den Kopf nach links, um dort hinzuschauen, wo die meisten Spiegel an den Wänden angebracht waren.
Da sah sie die Schatten!
Diesmal sehr deutlich. Sie huschten über die hellen Flächen, als hätten unsichtbare Hände mit einem Staubtuch über sie hinweggeputzt. Sie zuckten und huschten weiter, blieben auf die Spiegel konzentriert und glitten nicht über den Boden.
Was war das?
Über Schatten hatte Imelda gelesen. Auch in dem Land, aus dem der Mondschein-Mörder stammte, waren sie vorhanden gewesen und hatten sich dort ausgebreitet. Sie waren aus Bodenspalten gekrochen und hatten ihren Weg über Bäume und Pflanzen gefunden.
Schatten waren eigentlich überall gewesen, denn das bleiche Mondlicht hatte nicht nur sein fahles Licht verbreitet.
Da flackerte das Licht!
Die versteckten Lichtleisten dunkelten ab, wurden wieder hell, nahmen abermals einen dunklen Ton an, strahlten auch für einen Moment graues Licht in das Bad.
Grau wie der Umriß des Mondschein-Mörders, von dem Imelda Miller gelesen hatte.
War er da? Konnte eine Gestalt, die es nur als Phantasie-Geburt eines Autors gab, real erscheinen?
Diese Frage beschäftigte sie intensiv. Normalerweise hätte sie mit einem klaren Nein geantwortet, aber in ihrem Fall wußte Imelda nicht, wo sich Realität und Phantasie trafen.
Beide waren vorhanden, kesselten sie ein, denn sie befand sich im Zentrum.
Es wäre vernünftig gewesen, aus der Wanne zu steigen und das Bad zu verlassen. Selbst das schaffte Imelda Miller nicht. Jemand hielt sie in seinem Bann. So blieb sie im lauwarmen Wasser sitzen, wartete auf das Flakkern des Lichts, schaute gegen die drei größten Spiegel und erkannte in jedem von ihnen den Schatten.
Ein langgezogenes graues Etwas, das hektisch tanzte, innerhalb der Fläche blieb, aber plötzlich nach vorn stürmte. Das glaubte die Frau jedenfalls. Leider konnte sie es nicht genau erkennen, weil in diesem Moment das Licht erlosch.
Es blieb dunkel!
Sekunden vergingen. Madame Imelda hörte sich selbst laut atmen, sogar ihre Zähne klapperten aufeinander.
Da spürte sie den eisigen Hauch! Sofort wußte sie, was geschehen war. Der Schatten hatte sie erreicht!
Er war aus der Spiegelfläche gekrochen und huschte nun durch den normalen Raum.
Sie blieb still sitzen, die Augen weit geöffnet, wartete auf das erneute Flackern des Lichts.
Wieder verging Zeit, in der sie mit ihrer Furcht allein war. Dann flackerten die Lampen, der Raum erhellte sich, und das Licht blieb auch, es verlöschte nicht mehr.
Der Schatten war da!
Zum erstenmal konnte die Frau ihn aus unmittelbarer Nähe sehen und mußte zugeben, daß er ihr bekannt vorkam, obwohl er ihr
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