0622 - Das Monstrum von der Nebelinsel
bewegte sich Zeitlupenhaft, langsam drehte er den Kopf, wischte über sein Gesicht, in dem Zweifel standen, als wollte er dem nicht zustimmen, was er sah. Er starrte mich aus feuchten Augen an.
Ich hatte zunächst den Kopf wegdrehen wollen, hielt dem Blick dann stand und mußte Sukos Nicken sehen.
»Verdammt, ich bin es, Alter.« Meine Stimme klang müde und rauh zugleich.
Schweigend trat Suko einen Schritt vor und streckte mir den Arm entgegen. Ich umfaßte seine Hand, dabei zitterte ich, kam mir kraftlos vor, dann zog mich Suko mit einem heftigen Ruck auf die Beine.
Ich taumelte dabei nach vorn und wurde von ihm gestoppt.
Wir schauten uns jetzt direkt an. Er strich durch mein Gesicht.
»Verdammt, John.«
Ich senkte den Kopf. Er sollte nicht sehen, daß es wieder in mir hochstieg.
»Komm«, sagte mein Freund. Suko drehte mich herum. Er mußte mich schieben, damit ich mich in Bewegung setzte. Mit schleppenden, schlurfenden Schritten betrat ich den Wohnraum, den Koffer hatte ich im Flur zurückgelassen.
Ich wurde von Suko in meinem Stammsessel gedruckt. Er selbst nahm auch Platz, sprach kein Wort, nur sagten mir seine Augen genug. In ihnen standen zahlreiche Fragen.
Ich hatte den Kopf auf die obere Kante der Rückenlehne gedruckt.
»Frag schon!« keuchte ich und starrte gegen die Decke, die sich plötzlich bewegte »Frag schon, Suko.«
»Nein, John, du sollst reden.«
»Sorry, es hat mich erwischt.«
»Das sehe ich. Du bist anders geworden.«
»Hör auf«, rief ich »Hör schon auf! Ich bin nicht anders geworden. Sag es richtig, Suko. Ich bin gealtert. Ja, ich bin zu einem alten Mann geworden. Ich konnte nichts dagegen tun. Es ist alles so schrecklich, verstehst du?«
»Sicher – äußerlich.«
Meinen Kopf drückte ich wieder nach vorn. Dann schaute ich ihm aus müden Augen ins Gesicht »Äußerlich?« wiederholte ich leise und gedehnt. »Nein, mein Freund, nicht nur äußerlich. Ich fühle mich auch innerlich völlig leer und eben alt. Ich habe innerhalb von Sekunden Jahre verloren. Andere brauchen dazu eine Generation.«
Meine Stimme versiegte. Schweigen breitete sich zwischen uns aus.
In der Wohnung war es still. Auch Suko ließ sich Zeit. Ich hörte, wie er tief durchatmete. »Weißt du, John, es ist so. Ich will dich nicht drängen, aber es muß einen bestimmten Vorfall, ein Ereignis gegeben haben, das dich…«
»Ja, das hat es.«
»Melusine de Lacre?«
»Sicher.«
Suko schweifte vom Thema ab. »Auch ich habe etwas über die de Lacres erfahren. Da gab es einen Julien de Lacre. Er lebte im Hohen Mittelalter und hat gegen die Kartharer kämpfen sollen. Er ist ein Feldherr gewesen, mehr weiß ich auch kaum. Jedenfalls muß er ein besonderer Mann gewesen sein.«
Ich hob nur die Schultern.
»Ist dir das egal, John?«
»Wenn du mich so direkt fragst, muß ich dir mit ja antworten. Ich will nicht mehr.«
Davon wollte Suko wiederum nichts wissen »Es war nur Melusine de Lacre?«
»Nein, auch der Gral!«
Suko schaute zum Schrank. »Deshalb stehen die Türen offen.«
Ich nickte.
»Und wie?« fragte er leise Ich erzählte es ihm. Und ich sprach leise, mit einer Stimme, die ich selbst kaum hörte.
Suko sagte kein Wort. Er wollte mich in Ruhe lassen. Seinem Gesicht war anzusehen, daß er es nicht fassen konnte, was da über die Bühne gelaufen war.
»Der Gral«, sagte er dann und schüttelte den Kopf »Das darf doch nicht wahr sein! Wirklich der Gral?«
»Wenn ich es dir sage.«
»Dann hat er dich im Stich gelassen.«
»So ist es.«
»Und jetzt ist er weg. Ebenso verschwunden wie Melusine de Lacre.«
»Ja. Ich bin ein alter Mann geworden, sie hat ihren Weg gehen können. Wenn du sie finden willst, mußt du nach Avalon reisen, nehme ich an. Eine andere Möglichkeit sehe ich nicht. Aber die Insel hat wohl keiner gesehen. Gibt es sie überhaupt?«
Suko hob die Schultern »Da mußt du in der Artus-Sage nachlesen. Der König ist nach Avalon gegangen, um den Tod zu überwinden. Manche sagen auch, daß er dort hat sterben wollen, nur spielt das für uns keine Rolle, John. Es geht um dich, mein Freund. Ganz allein um dich. Wie kommst du wieder raus? Wie kannst du wieder dein normales Alter und dein normales Aussehen zurückgewinnen?«
Ich hob die Schultern. »Das weiß ich nicht. Ich… ich habe keine Ahnung.«
Suko sah mich prüfend an »Ich weiß nicht, ob ich dir da glauben soll, John. Du hattest etwas vor, als ich deine Wohnung betrat. Der Koffer liegt noch im Flur.«
»Ja, ich wollte
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