063 - Das Verrätertor
verdammt seltsam!« sagte er.
Er riß sich zusammen, legte das Juwel wieder an seine Stelle, machte den Kasten zu und verbarg ihn in dem Geldschrank. Die Sache kostete ihn zehn, vielleicht auch zwanzig Jahre Gefängnis. Aber sein Entschluß war gefaßt, und wenn er den Rest seines Lebens hinter Mauern zubringen müßte, die Spitze der >Pretty Anne< würde bei Tagesanbruch nach der Küste zeigen. Es mußte eigentlich schon hell werden. Mit großer Anstrengung schraubte er die Sicherheitsdeckel von den Fenstern. Dabei mußte er sich notwendigerweise über das schlafende Mädchen beugen. Sie erwachte mit einem leisen Schrei.
»Es ist alles in Ordnung«, sagte er. »Ich mache nur Licht und will etwas frische Luft in diesen schrecklichen Raum lassen.«
»Entschuldigen Sie, ich muß geträumt haben.«
»Schlafen Sie ruhig weiter«, sagte er. Aber dazu war sie jetzt zu unruhig. »Können wir nicht nach draußen gehen? Mir wird schlecht, wenn wir es nicht tun«, bat sie.
Graham zögerte.
»Gewiß«, sagte er dann und schloß die Tür auf. Er führte sie durch den Gang und nach dem hinteren Deck.
Sie hielt sich am Geländer fest und zog begierig die reine, frische Seeluft ein. Niemand war hier. Graham kletterte vorsichtig die Leiter in die Höhe und schaute über das obere Deck. Von Eli Boß war keine Spur zu entdecken. Aber er konnte einen Mann sehen und erkannte ihn als einen der Söhne des Kapitäns. Er lehnte vorn, auf das Geländer der Kommandobrücke gestützt.
Mit ein paar Worten erzählte ihm Hope, wie sie an Bord gekommen war, und er konnte ihre Angaben ergänzen.
»Nach Indien? Wie fürchterlich!« Als ihr die Lösung des Rätsels plötzlich klarwurde, fragte sie: »Steht der Fürst hinter der ganzen Sache?«
»Ich vermute es«, sagte Graham kurz. »Aber wir werden nicht nach Indien fahren. Sobald Sie wieder in der Kabine sind, spreche ich mit Eli Boß. Seine Pläne werden sich eben ein wenig ändern – und dann…«
Ein Bootshaken, von unsicherer Hand geworfen, flog an seinem Kopf vorbei und schlug ihm auf die Schulter. Er stöhnte vor Schmerz und drehte sich schnell um. Er sah gerade noch, wie sich die Gestalt von Eli Boß über das Bootsdeck erhob, gefolgt von zwei Kerlen seiner Besatzung. Der erste Schuß Grahams ließ den Neger in die Knie sinken. Bevor er wieder feuern konnte, sprang der Kapitän zur Seite und verschwand in der engen Tür, die in den Gang auf der Backbordseite führte. Er wütete. Der zweite Matrose schrie laut auf, floh in den Gang auf der Steuerbordseite und warf die eiserne Tür hinter sich zu. Graham drückte gegen den Türflügel, aber bevor er ihn aufzwängen konnte, hörte er, wie die Riegel vorgelegt wurden.
Er war von seiner Kabine und der Krone abgesperrt!
Er versuchte, in den unteren Gang einzudringen, aber auch hier war der Eingang geschlossen. Der einzige Weg, der übrigblieb, war die Leiter zum Bootsdeck. Er ging zwei Schritte in die Höhe, aber sein Kopf war kaum über dem Deck erschienen, als ein Geschoß an seinem Ohr vorbeipfiff. Der ohrenbetäubende Knall eines Gewehrschusses ertönte.
Dann vernahm er andere Geräusche. Jemand hämmerte an die Tür seiner Kabine. Er hörte den Klang einer tiefen, haßerfüllten Stimme und einen schrecklichen Schrei wie der Ruf eines Tieres in Todesangst – dann Schweigen.
Das Gesicht Hopes wurde bleich.
»Was war das?« fragte sie hastig. »Etwas Schreckliches muß geschehen sein!«
»Das Schrecklichste ist, daß Sie hier auf diesem elenden Schiff sind!« entgegnete er.
Er setzte sich an der Leeseite nieder und unternahm einen neuen Versuch. Er wickelte seinen Rock zusammen und hob ihn vorsichtig über die Spitze des Decks. Sofort krachte wieder ein Schuß, etwas streifte den Rock, und ein abgepralltes Geschoß summte über seinen Kopf.
»Also so liegt die Sache«, sagte er ruhig, als er auf das Deck ging. »Wir sind in einer Falle gefangen, wenn nicht – «
Er schaute auf die großen Luken, die die hintere Ladeöffnung bedeckten. Er schloß aus den heftigen Bewegungen des Schiffs, daß der Dampfer fast leer sei. Er glaubte zu erkennen, daß das Hinterdeck die Unterkunftsräume der Schiffsbesatzung enthielt. Aber um dahin zu kommen, mußte er wieder durch die Feuerzone der Schützen vor der Kommandobrücke.
»Ich bin schrecklich hungrig und durstig«, sagte Hope. »Könnte ich nicht etwas Wasser bekommen?«
In der Nacht hatte es heftig geregnet, und ein kleiner Teich hatte sich auf der Segeltuchdecke gebildet, mit
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