0637 - Nackt in die Hölle
war.
Ich starrte auf meinen Heilbutt vom Rost, dessen hintere Hälfte mit einer hellen Sause bedeckt war.
»Willst du fahren und sie zurückholen?«
»Klar. Ich denke nur über den Ruf nach und darüber, was dieses Hexen-Museum wohl zu bieten hat.«
»Den Weg in die Hölle.«
Ich verzog die Lippen. »Das kann ich nicht glauben. Ein Museum soll mich in die Hölle führen?«
Lady Sarah hob die Schultern. »Vielleicht sollten wir davon ausgehen, dass einiges, was du dort zu sehen bekommst, echt ist. Also magisch echt, mein Sohn.«
»Das sowieso.«
Lady Sarah zielte, bevor sie anfing zu essen, mit der Gabel auf mich. »Eines will ich dir sagen. Wenn du hinfährst, wird es sicherlich kein Spaziergang für dich.«
»Damit rechne ich auch nicht.«
»Dann guten Appetit.«
»Ach ja, Sarah, das bewundere ich so an dir.«
»Was denn?« Unschuldig schaute sie mich an.
»Deine Zugaben zum Essen.«
»Richtig, John, und sie sind sogar kostenlos…«
***
Die Augen waren wie Teiche in einem blassen Gesicht. Manchmal starrten sie Jane Collins an, dann wiederum blickten sie an ihr vorbei. Der Bus schaukelte über die Straßen, vorbei an Feldern, Wiesen, Wäldern und kleinen Dörfern.
Die Augen gehörten einem jungen Mann, der Jane Collins gegenübersaß. Er mochte um die zweiundzwanzig sein, trug einen grauen Mantel und darunter einen farblosen Pullover, der mit allerlei Strass und Schmuck verziert war. Kleine Totenschädel hingen neben Spiralen aus Blech oder mühsam geformten Pentagrammen. Auch ein Sticker klebte auf dem Stoff. Auf schwarzem Grund stand in flammenden Buchstaben der Spruch: Satan ist unter uns.
Jane hatte sich nicht zu dem jungen Mann gesetzt, es war umgekehrt gewesen, und sie wollte ihren Platz nicht verlassen, denn sie stufte den hohlwangigen Knaben als harmlos ein. Sein Haarschnitt war ungewöhnlich. Sehr kurz geschnitten und dunkelrot gefärbt. Allerdings an den Spitzen mit einem grauen Schimmer versehen. Es sah aus, als hätte jemand die Spitzen in Mehl getunkt.
Die enge Röhrenhose des Mannes bestand aus hellgrauem Cord, und er hatte sogar seine Handrücken bemalt. Ebenfalls kleine Fratzen, die wahrscheinlich den Teufel zeigen sollten.
Er und Jane hockten in einem der Postbusse, die auf dem Land unersetzlich waren.
Gesprochen hatten beide nicht miteinander, zudem versuchte Jane, dem Blick des Knaben auszuweichen. Er war nicht gerade ihr Typ.
Es war ein trüber Tag im April. An manchen Stellen schimmerte die Straße noch feucht vom Morgennebel.
Jane drückte sich nach links, bis sie mit der Schulter gegen die Fensterscheibe stieß, und schloss die Augen. Sie wollte in Ruhe nachdenken und sich fragen, ob sie richtig gehandelt hatte.
Da war der Ruf gewesen!
Mitten in der Nacht war er in ihre Träume gedrungen.
Jemand schrie um Hilfe.
Eine Frau, eine ungewöhnliche Person, die sich in den Klauen des Teufels befand, die in der Hölle steckte, aus der sie herausgeholt werden wollte.
Zuerst hatte sich Jane keinen Reim darauf machen können, aber der Ruf war immer wieder erklungen. Er hatte ihren Schlaf beeinflusst, schließlich hatte sie sogar regelrecht darauf gewartet, dass sich etwas tat.
Von Nacht zu Nacht war er stärker geworden und hatte Jane mehr Informationen gegeben.
Sie wusste nun, wo sie die Person finden konnte, die sie aus der Hölle holen sollte.
In einem Museum, wo all die schrecklichen und kuriosen Dinge ausgestellt waren, die das auslaufende Mittelalter kannte und die gerade für Hexen so typisch waren.
Es war damals eine schlimme Zeit gewesen. Jemand hatte die Folterinstrumente, aber auch die abergläubischen Abwehrmittel gesammelt, um sie einem größeren Publikum zugänglich zu machen, die von einem gruseligen Schauererfasst wurden, wenn sie an den ausgestellten Stücken vorbeischritten und sich bei ihnen Gänsehaut bildete.
Jane hatte überhaupt keine Vorstellung davon, was sie innerhalb des Hexen-Museums finden würde.
Sie dachte nur an den geheimnisvollen Ruf, der mehr einem Schrei nach Hilfe und Befreiung geglichen hatte. Sogar ein bestimmtes Wort hatte die Unbekannte verwendet.
Schwester!
Sie fühlte sich Jane Collins also schwesterlich verbunden, was die Detektivin im Prinzip nicht verstand. Sie brauchte Aufklärung. Schon allein sich selbst gegenüber. Sie wollte und konnte sich mit ihrem Hexenerbe nicht abfinden. Jane wusste, dass sie nicht hundertprozentig okay war. In ihr steckte noch immer etwas von der alten Zeit, die sie als Hexe verbracht hatte, als
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