Grass, Guenter
Günter Grass
GRIMMS WÖRTER
Eine Liebeserklärung
IM ASYL
Von
A wie Anfang bis Z wie Zettelkram. Wörter von altersher, die abgetan sind oder
abseits im Angstrad laufen, und andere, die vorlaut noch immer bei Atem sind:
ausgewiesen, abgeschoben nach anderswo hin. Ach, alter Adam!
Es
waren einmal zwei Brüder, die Jacob und Wilhelm hießen, für unzertrennlich und
landesweit als berühmt galten, weshalb sie ihres Nachnamens wegen die Brüder
Grimm, Grimmbrüder, auch Gebrüder Grimm, von manchen die Grimms genannt wurden.
Selbst nach heutigem Sprachgebrauch, der sich gern mit Anleihen brüstet, sind
sie als Grimm Brothers Redensart, und sei's nur vom Hörensagen als
Märchenonkel, die uns von Allerleirauh und Aschenbrödel erzählen.
Geboren
in jenem Teil Hessens, der mit der Obergrafschaft Hanau im deutschen
Flickenteppich der Kleinstaaterei als einer von über dreihundert Flecken galt,
blieb ihnen der dort übliche Zungenschlag bis ins Alter anhänglich, wenngleich
gemildert durch Ortswechsel.
Jacob
kam 1785 zur Welt, Wilhelm ein Jahr später, zeitlich nur eine kurze Spanne vor
der Französischen Revolution, deren Folgen das europäische Machtgefüge bis in
ferngelegene Kolonien, doch in Hessen kaum etwas änderten. Jedenfalls tat sich
in ihrer Geburtsstadt Hanau, wo der Vater Philipp Wilhelm Grimm als
Hofgerichtsadvokat, dann Stadtsekretär seines Amtes waltete, so gut wie nichts,
desgleichen im nahen Frankfurt, abgesehen von einer Kaiserkrönung, an die
sich die Brüder später aus dem trübenden Abstand der Jahre erinnern werden: das
Schauspiel der landgräflichen Truppenparade bot bunte Bilder, die das
Gedächtnis schönte. Kanonendonner und des Krieges Schrecken blieben fern, aber
dunkel stand ihnen der Wald nahe, in dem sich Kinder und Wünsche verliefen und
in vielerlei Gestalt die Angst wurzelte.
Danach
lebten die Grimms in Steinau, einem an der Handelsstraße zwischen den
Messestädten Frankfurt und Leipzig gelegenen Städtchen, in dem Jacob und
Wilhelm von Hauslehrern unterrichtet wurden, bis sie nach dem Tod des Vaters
nach Kassel zogen, wo sie bei karger Lebensführung aufs Lyzeum gingen,
unterstützt von Tante Zimmer, die als Hofdame Ansehen genoß und über ein
kleines Vermögen verfügte.
Von
drei weiteren Brüdern, der Schwester, die nach dem Tod der Mutter von Jacob und
Wilhelm versorgt werden mußten, wurde der Nachwelt nur Ludwig Emil Grimm
bekannt. Er, von allen Geschwistern Louis gerufen, hat die namhaften Brüder, um
die es zu allererst und fortan gehen soll, mit weichem Blei gezeichnet, mit
schneller Feder karikiert und mit harter Radiernadel auf Kupferplatten verewigt:
Jacob vor Wilhelm aus seitlicher Sicht gestellt, so daß sich ihre Profile
gestochen scharf eingeprägt haben. Beide in edler Haltung, der ältere mit
geschlossener Halsbinde, des jüngeren Kragenspitzen stehen ab. Ihr
Geradeausblick auf etwas fixiert, das fernab zu finden sein mag. Des einen Haar
fällt gelockt, des anderen leicht gewellt glatt. Ihr jeweils ausdrücklicher
Ernst.
Die
Gebrüder. Das bürgerlich gekleidete Brüderpaar. Auf Titelblättern, dem
Tausendmarkschein gedruckt, als Briefmarken gestempelt. Deutsche Wertzeichen,
für Denkmäler, Straßennamen, Festspiele tauglich und fürs Anwerben wanderfreudiger
Touristen geeignet: eine Märchenstraße folgt ihrer Lebensbahn. So augenfällig
anheimelnd und angepaßt dem allgemeinen Geschmack wurden sie uns überliefert
und zur Harmlosigkeit verurteilt.
Ich
aber sehe sie als Doppelgespann lebenslänglich vor den stets überladenen
Bücherkarren gespannt. Wie sie in Schweinsleder gebundene Schwarten wälzen,
Folianten stapeln, Mythen, Sagen, Legenden, verschollenen Manuskripten auf
der Spur sind, schon in Marburg als Studenten und später anderenorts, wo immer
sich Vergessenes abgelagert haben mochte. Romantiker, unterwegs ins
Biedermeier, die wortvernarrt Wörter klauben, Silben zählen, die Sprache nach
ihrem Herkommen befragen, Lautverschiebungen nachschmecken, verdeckten
Doppelsinn entblößen, Entschlafenes wachküssen, von altehrwürdigen Sprachdenkmälern
den Staub wegwedeln und später als Wortschnüffler um jeden Buchstaben und
besonders pingelig um anlautende Vokale besorgt sein werden. Ihre heillose
Sucht und selbstverordnete Fron; Spötter meinten, man könne sich Jacob zwischen
Buchdeckel gesperrt, in kostbares Leder gebunden vorstellen.
Doch
soll vorerst ungenannt bleiben, was alles die beiden in Bibliotheken mit
Spürsinn
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