0638 - Das Palazzo-Gespenst
das ist der Anfang vom Ende. Das Vereisen, wissen Sie… das Vereisen…«
Die letzten Worte verklangen, dann hörte Lady Sarah nur mehr die Schritte der Frau.
Über die Lippen der Horror-Oma huschte ein Lächeln. Sie wusste nicht so recht, wie sie die Worte auffassen sollte. Aber eine Spinnerin war Signora Brandi nicht, es hatte tatsächlich einige Vorfälle in dieser alten, herrlichen Villa gegeben, dem Palazzo, der von einem Gespenst heimgesucht worden war. Venetia…
Eine Frau, der Geist einer Frau, der in den Mai-Nächten umherspukte und tötete.
Sein Pech war, dass sich eine englische Lady unter den Toten befunden hatte. Eine entfernte Bekannte der Lady Sarah, aber gleichzeitig eine Frau, deren Familie die besten Beziehungen zu den Ministerien besaß.
Einem gewissen Sir James Powell hatte sie die Hölle heißgemacht, damit er seine besten Leute schickte, die sich um den Fall kümmern sollten.
Es war nur einer nach Italien mitgefahren. Suko, der Chinese. John Sinclair hatte in Germany zu tun, da der Fall drängte, war Sir James nichts anderes übriggeblieben, als Suko an Lady Sarahs Seite mit nach Italien zu schicken.
Der Inspektor wohnte nicht in diesem alten Palazzo, sondern in der Nähe, was ihm auch besser gefiel.
Das Dinner lag hinter ihr. Es hatte Fisch gegeben, dazu Reis und einen trockenen Wein. Lady Sarah würde später noch auf einen Drink in die Halle gehen, wo man sich traf, saß und auf irgendetwas wartete, das nie eintrat. Aber man wartete immer, man hoffte, und wenn es wieder eine Leiche gab, war man erstens deshalb zufrieden, weil es einen selbst nicht erwischt hatte und zweitens, weil endlich wieder etwas geschehen war. Ein perverser und irgendwo auch morbider Kreis, aber sehr eingefahren, und das Palazzo-Gespenst tat sein übriges.
Lady Sarah betrat den großen Garten. Der war etwas Besonderes mit seinen menschen hohen Hecken. Buchsbaum und Rhododendron wechselten sich ab. Der Geruch eines alten Friedhofs lag bei Tiefdruckwetter wie ein Schleier über dem Garten und vermischte sich mit dem des Kanals.
Im Garten standen vereinzelt Bänke und meist versteckt Statuen, die wohl unentdeckt bleiben wollten.
Zumeist war es ruhig. Bis auf eine Stelle, wo ein kleiner, halbrunder Teich von einem Brunnen gespeist wurde. Das Wasser floss aus dem aufgerissenen Maul eines Löwen und klatschte permanent auf die Oberfläche des Teichs, so dass diese Melodie nie abriss.
Als Garten der Lüste konnte er wirklich nicht angesehen werden, eher als ein Areal der Besinnung.
Auch Lady Sarah war allein. Das prächtige Haus blieb hinter ihr zurück.
Wenn sie den Kopf drehte, glitzerte die Fassade.
Sie ging mutterseelenallein und hörte nur das Knirschen ihrer Schritte.
Die Horror-Oma atmete die kühl gewordene Abendluft ein. Ein heißer Tag lag hinter ihr, und die Luft schmeckte nach abgestandenem Wasser.
Eine ungewöhnliche Mischung, und der Gedanke an den Friedhof verstärkte sich immer mehr.
War das die Zeit für das Gespenst?
Lady Sarah hütete sich, darüber zu lächeln. Es hatte Tote gegeben.
Über die genaue Anzahl wollte man ihr nichts sagen, auch wenn sie fragte, aber die Engländerin, deretwegen sie hergekommen war, konnte niemand mehr ins Leben zurückrufen.
Der direkte Weg vom Palazzo zur Kreuzung hin war der breiteste. Wer die Villa anfuhr, musste an der Rückseite halten, wo auch die Straße herführte. Vorn grenzte der alte Kanal das Grundstück ab.
An der Kreuzung blieb Lady Sarah stehen. Sie schaute hoch zum Himmel, der einen bläulichen Schein abgab. Vielleicht lag es auch am Mond, der seine Fülle fast erreicht hatte Sie freute sich, dass ihre Tarnung nicht aufgefallen war. Selbst Sir James hatte dafür gestimmt, Lady Sarah mit nach Italien fahren zu lassen, damit Sukos Bemühungen nicht auffielen. Zudem spielte die Horror-Oma für ihr Leben gern Detektiv. Jane Collins hatte sie nicht mitnehmen können, denn sie befand sich mit John Sinclair in Germany.
Eigentlich war die Nacht wunderschön. Sarah Goldwyn schaute auf die Uhr. Eigentlich war die Zeit schon da. Suko gehörte zu den Menschen, die eigentlich nie unpünktlich waren. Auch jetzt war er da.
Sein Räuspern klang hinter Sarah auf.
»Aha«, sagte sie nur, ohne sich umzudrehen. »Ich dachte schon, du hättest mich enttäuscht.«
»Nie. Wie kommst du darauf?«
»Nur so.«
Er kam näher, stellte sich vor die wesentlich ältere Frau hin und betrachtete das Gesicht, über das die Schatten der Nacht gefallen waren und die
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