Irrflug
1
Es roch nach frisch gemähtem Gras. Sie mochte diesen Duft, wenn sie an einem sonnigen Sommermorgen zum Flugplatz fuhr – das Schiebedach offen, das Radio auf SWR 4 gestellt, auf ihren Lieblingssender, der sie mit seinen Oldies an ihre eigene Disco-Zeit erinnerte. Aber das war schon eine Zeit lang her. Angelika Druschkowsky, knapp über 40, bog von der Bundesstraße ab, um jetzt über einen schmalen Asphaltweg, vorbei an ausgedehnten Erdbeerplantagen einerseits und einer Streuobstwiese andererseits, zu den Flugzeug-
hallen zu fahren, die sich in eine sanfte Senke geduckt hatten. Der gläserne Tower schien sich beim Näher hinkommen aus der Landschaft zu recken, dann der Windsack, der an diesem Morgen lasch am Masten hing, und zuletzt erst die leicht angeschrägten Dächer der Hangars.
Die Sonne hatte sich bereits weit über die Höhenzüge der Schwäbischen Alb erhoben, die hier wie eine dezent bläuliche Mauer den Weg in Richtung Süden versperrte. Angelika Druschkowsky hatte sich in solchen Momenten schon tausend Mal gewünscht, auch die Pilotenlizenz zu besitzen und einfach über diese Berge hinwegschweben zu können, südwärts zur Donau und über die oberschwäbische Ebene hinweg zum Bodensee. Doch so sehr sie auch von der Fliegerei fasziniert war, hatte ihr letztlich dann doch immer die innere Einstellung gefehlt, wochenlang Theorie zu büffeln und sich der Schulung zu unterziehen. Ganz abgesehen davon, dass die Ausbildung wohl auch ihr Budget stark belastet hätte. Sie betreute seit 10 Jahren die Kunden der Motorflugschule des Baden-Württembergischen Luftfahrtverbandes. Ein abwechslungsreicher Job, der sie mit den unterschiedlichsten Menschen zusammenbrachte. Vormittags war sie die Erste, die auf das Fluggelände kam, das weit außerhalb von Kirchheim lag. Kurz nach ihr trafen auch ihr Chef und der Leiter des flugtechnischen Betriebs ein. Aber erst wenn die junge Fluglehrerin da war, wurde das elektrische Tor des großen Hangars nach oben geschwenkt, in dem elf Sportmaschinen eng beieinander standen. Die Mitglieder der Segelflugvereine hingegen, denen die anderen Hallen gehörten, tauchten erst viel später auf, wenn sich erdnahe Luftschichten genügend erwärmt hatten, um die begehrte Thermik auszubilden.
Angelika Druschkowsky, betont leger gekleidet, weiße Bluse und Jeans, gab sich dem Gedanken hin, über diese traumhafte Landschaft zu schweben und das Gefühl der Schwerelosigkeit zu spüren.
Wenn am Ende der Startbahn der Begrenzungszaun überwunden war, schrumpften die großen und kleinen Nöte. Jeder Höhenmeter brachte sie dem Himmel näher, diesem Universum, diesem unergründlichen Geheimnis, dieser großen Macht und Energie, die nur zu ergründen vermag, wer sich aus der beengten Perspektive befreit. Hinterm Horizont gehts immer weiter, wie es so schön heißt.
Angelika Druschkowsky dachte an all dies, als sie im Gegenlicht der Sonne zur Teck hinüber blickte – zu jener Burg, die nur zwei Kilometer vom Flugplatz entfernt majestätisch auf einem Bergvorsprung thronte. Ein markanter Geländepunkt, an dem sich die Flieger orientierten.
Träume, Wünsche. Für einen kurzen Augenblick, das wurde ihr plötzlich bewusst, spürte sie die Sehnsucht, mitfliegen zu dürfen. Das waren jene Momente, in denen sie es bedauerte, einen so wunderschönen Morgen im Büro verbringen zu müssen. Ihr schien es, als spielten tausend Gedanken in ihrem Kopf verrückt. Schöne Träume, die nur Minuten währten. Gerade so lang halt, wie die Fahrt über den schmalen Asphaltweg, hinüber zum Fluggelände, dauerte.
Von Weitem sah sie die sanften Morgennebel über der Graspiste schweben, im Gegenlicht der Sonne silbern und durchsichtig schimmern. Die Straße führte jetzt in weiten Bögen zu den Gebäuden hinüber. Im linken Augenwinkel nahm die auffallend blonde Frau den Campingplatz wahr, der von dichten Sträuchern begrenzt wurde. Hier, abseits des Flugplatzes, verbrachten in diesen Sommerwochen auswärtige Hobby-Flieger ihre Wochenenden oder den Urlaub. Die Hahnweide, so hieß der Flugplatz, galt seit Jahrzehnten als Eldorado für Segelflieger.
Zwischen dem Tower-Gebäude und der Gaststätte, von deren Terrasse aus man den Flugbetrieb beobachten konnte, ließ Angelika Druschkowsky ihren blauen Golf bis zu einer Schranke rollen, ab der das Betreten des Fluggeländes für Außenstehende verboten war. Hier bog sie nach rechts ab – südwestwärts. Oder, wie die Flieger sagen würden, in Richtung ›drei-eins‹,
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