0638 - Das Palazzo-Gespenst
Kombüse schräg gegenüber stand ein alter, mit Speiseresten verschmierter Kocher. Bevor er sich dort eine Mahlzeit zubereitete, würde Suko lieber hungern.
Als Sitzplatz diente nicht nur die Koje, ein alter Regiestuhl stand ebenfalls dort. Er kam Suko vor, als hätte ihn jemand vergessen. Die Tür am Ende des Niedergangs,- die zu den Kojen führte, hatte Suko nicht geschlossen. Die Koje selbst besaß keine mehr, der Eingang sah aus, als hätte man ihn in die Wand gesprengt.
Selbst das Leinen des Stuhls war feucht. Die Nässe drang durch den Hosenstoff. Trotz allem brauchte Suko etwas in den Magen.
Kochen konnte er sich hier nichts, deshalb hatte er vorgesorgt. In seiner Reisetasche befanden sich unter anderem eine Salami, Weißbrot und eine Dose Saft.
Zehn Minuten später packte Suko die Hälfte der Salami wieder ein und fühlte sich besser.
Verändert hatte sich nichts. Nach wie vor lag die Luft wie Blei über dem Kanal. Die Mücken schwirrten, die Grillen zirpten noch immer, und der Himmel bot sich dar mit seiner Sternenpracht.
Ein Italien-Himmel, von Hunderttausenden von Touristen beschwärmt, einfach wunderbar.
Suko stand auf, weil er sich einfach bewegen musste. Außerdem wollte er sich an Deck umschauen.
Die Kühle war geblieben. Vom Wasser her stiegen feuchte Tücher und breiteten sich aus. Sie blieben nicht nur auf die Kanalbreite begrenzt, sondern krochen an den Rändern in die Höhe, um sich auf dem flachen Gelände zwischen den Bäumen ausbreiten zu können, wobei sie anschließend an den Stämmen hoch krochen, das Geäst erreichten und es mit gespenstisch wirkenden Wolken umgaben.
Die Kühle nahm zu. Sie war wie ein Schleier, den niemand aufhalten konnte. Sukos Misstrauen erwachte allmählich, denn er dachte an die Worte der Horror-Oma.
Hatte sie nicht von einer unnatürlichen Kälte gesprochen, die das Kommen des Gespenstes ankündigte?
Der Inspektor war auf der Hut. Mit dem Rücken lehnte er sich an einen der Aufbauten und wartete ab. Noch zeigte der Nebel seine natürliche Form, eine Gestalt jedenfalls konnte Suko innerhalb der Schwaden nicht entdecken.
Das Gespenst musste eine Frau sein. Man hatte auch von einer Weißen Frau gesprochen, die von der eisigen Kälte des Todes begleitet wurde, wenn sie sich dem Opfer näherte.
Noch schaute Suko in den graublauen Dunst, der sich in die Dunkelheit hineindrängte, aber keine Gestalt aus ihr hervorzauberte. Manchmal war die Stille wie ein Panzer, der, zusammen mit dem Nebel, Sukos Brust umschnürte.
Es würde etwas passieren, das stand für ihn fest. Der Tod näherte sich lautlos.
Suko merkte, dass Schweiß auf seiner Stirn lag. Oder war es nur Feuchtigkeit. Er wischte darüber hinweg und betrachtete seine nassen Handflächen. Sein Herz schlug ungewöhnlich schnell, was ihn sehr störte, denn so etwas erlebte er nur in Stresssituationen.
Hier aber herrschte Ruhe. Trügerisch und gefährlich zwar. Suko traute dem Nebel längst nicht mehr, und wie von selbst wanderten seine Finger dorthin, wo die Dämonenpeitsche im Gürtel steckte. Die Beretta ließ er an ihrem Platz. Einem Gespenst mit einer Kugel begegnen zu wollen, hatte noch nie etwas gebracht.
Die Mörderin lauerte in der Nähe…
Suko drehte sich um, während er gleichzeitig mit der Peitsche einen Kreis schlug.
Drei Riemen rutschten aus der Öffnung und klatschten mit ihren Spitzen gegen die Planken. Jetzt fühlte er sich etwas sicherer, auch wenn er seinen Gegner noch nicht sah.
Kalte Fingerspitzen krochen über seinen Rücken. Er löste sich von den alten Aufbauten, ging zwei Schritte, blieb wieder stehen, startete seinen Rundblick, ohne allerdings die Gefahr erkennen zu können.
Nur der Dunst schwebte über das Deck und verfing sich im Bewuchs an beiden Uferseiten.
Er schaute wieder nach vorn, dem Bug des Bootes entgegen, denn dort zeigte der Nebel seine größte Dichte.
Im nächsten Augenblick holte er Luft, als würde er Wasser trinken, denn in dem Dunst war etwas entstanden: eine Frauengestalt, ein Gespenst… Venetia!
***
Suko hatte natürlich damit rechnen müssen, trotzdem stand er unbeweglich und starrte einzig und allein auf dieses Wesen, das sich trotz der Dunkelheit aus den wallenden Schwaden abhob.
Drei Farben überwogen bei ihr.
Da war zunächst einmal das sehr bleiche Haar, dokumentiert durch ein helles Weiß. Das Gesicht dagegen besaß einen blauen Farbton, auch sehr unheimlich anzusehen. Und es war bekleidet. Ein geblümtes Etwas, möglicherweise ein Kleid,
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