0638 - Das Palazzo-Gespenst
leid.«
»Du weißt es!« Sie sprang vor, und Sarah rechnete fest mit einem Schlag. Der aber blieb aus.
Eine Stimme hallte auf. Sie sprach die Worte hart, fest und klar.
»Hier bin ich, Signora!«
***
Wieder hörte ich sie schreien. Sie fuhr aus ihrer geduckten Haltung hoch, aber das bekam ich nur am Rande mit, denn mein Blick glitt an ihr vorbei und konzentrierte sich auf eine Gestalt, die bewegungslos in einem Stuhl saß.
Es war Suko.
Mein Freund Suko. Er sah aus wie ein Toter. Nichts an ihm bewegte sich. Der Schrecken fraß sich in mein Herz wie ein langer Eissplitter. Ich bekam feuchte Hände, aber ich musste die Nerven behalten. Wie nebenbei hörte ich das stöhnend ausgesprochene Wort der Lady Sarah.
»John…«
»Es ist okay, Sarah, es ist alles okay. Das kannst du mir glauben.« Ich ging weiter, schneller jetzt, denn ich wollte der Frau die Chance nehmen.
Sie aber wich zurück, während die übrigen Gäste der Villa de Sole regungslos saßen oder standen.
Ich passierte Lady Sarah. Auf die Brandi musste ich den Eindruck eines Rächers machen, aber wo befand sich Venetia, das Palazzo-Gespenst?
Ich schaute mich um, konnte von meinem Standort aus in drei Gänge hineinsehen, ohne etwas zu entdecken.
Dann erschien sie doch. Nur anders, als ich es mir vorgestellt hatte. Es begann mit einem würgenden Röcheln, das aus dem weit geöffneten Mund der Rosanna Brandi drang. Sie hatte den Mund weit aufgerissen.
Würgend und röchelnd und etwas ausspeiend, das sich wie ein Schleier über ihrem Kopf ausbreitete.
Ein Ektoplasma, zunächst wolkig, dann allmählich Gestalt annehmend, die einer Frau.
Das war sie!
Bleiches, langes Haar, blauweiße Haut, keine Augen, dafür die Höhlen ausgefüllt mit einer blassen Masse ohne Pupillen. Sie trug noch die Andeutung eines violetten Kleides, aus dessen Ärmeln ebenfalls die bläulich bleichen Hände hervorschauten.
Ich starrte in das Totengesicht. Ich wusste, dass Lady Sarah und Suko vorerst gerettet waren, denn nun kümmerte sich das Monstrum um mich.
Die Brandi taumelte zurück. Sie wischte über ihr Gesicht, lachte rau und kichernd zugleich, denn sie rechnete damit, dass mir Venetia keine Chance ließ.
Ich ließ sie kommen und hatte mich dabei schützend vor Lady Sarah gestellt, die mir Worte zuflüsterte, die ich nicht verstand. Wahrscheinlich wollte sie mir Mut machen, den brauchte ich auch, denn die Schmerzen im Rücken und auch im Kopf waren kaum schwächer geworden. Lange würde ich nicht durchhalten, das schien auch die Brandi bemerkt zu haben, denn sie feuerte das Gespenst an.
»In einen Eisklumpen hat man dich eingepackt, Venetia. Jetzt wirst du ihn vereisen. Tu es!«
Sie gehorchte. Ob den Worten oder ihrem Trieb, das spielte keine Rolle.
Jedenfalls schwebte sie in einer geisterhaft wirkenden Lautlosigkeit auf mich zu.
Ich hatte das Kreuz, den Banner überhaupt, und ich ließ sie langsam kommen.
Schon bekam ich ihre Ausstrahlung zu spüren. Eine Kälte, die nicht von dieser Welt kam. Sie war irgendwo in einer fremden Dimension geboren, und sie fror dem Menschen das Herz ein.
Nicht mit mir!
Blitzschnell hob ich die rechte Hand, öffnete die Faust, drehte die Hand herum, so dass Venetia auf die Fläche schauen musste.
Sie sah das Kreuz und wollte zurück. Diesmal war ich schneller und hechtete auf sie zu.
Mein Kreuz erwischte sie voll!
Hinein in das Gesicht, das keines war, sondern mehr eine eisige Insel.
Vielleicht hatte sie noch wegzuhuschen versucht, es gelang ihr nicht mehr, denn etwas Unwahrscheinliches geschah.
Der Geist materialisierte. Aber anders, als es normalerweise der Fall gewesen war.
Ich spürte den Widerstand, und ich merkte, wie er meine Hand kühlte.
Vor mir stand ein Eisklumpen mit dem Umrissen einer Frau, die einmal den Namen Venetia getragen hatte.
Ein Lebewesen aus gefrorenem Wasser?
Vielleicht, vielleicht auch nicht, denn mein Kreuz taute es gleichzeitig auf.
Ein Rand aus Feuer und Licht zeichnete ihren Umriss genau nach und brachte das Material zum Schmelzen. Was vor meinen Füßen zusammenlief, war Wasser, das sich zu einer Lache ausbreitete und plötzlich anfing zu zischen, als würde es kochen.
Ein leerer Schrei fegte durch die Halle. Signora Brandi brüllte abermals auf. Sie wollte nicht begreifen, dass es zu Ende war. Sie hatte keine Chance mehr, lief einige Schritte auf mich zu, fasste an ihr Herz - und brach mit einem Wehlaut zusammen.
Innerhalb der Lache drehte sie sich zusammen, kippte dann zur Seite,
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