066 - Marionetten des Satans
nach neun Uhr war ihr Probesprechen beendet, und sie beschloß, die Schauspieler-Agentur aufzusuchen. Vielleicht konnte sie dort eine andere Chance aufgabeln, erfahren, was sich in der Stadt tat, ein wenig klatschen. Oder wenigstens gemeinsam mit ihren Kolleginnen über die Nöte des Schauspielerdaseins klagen.
Außerdem hatte sie das Agenturbüro noch nicht aufgesucht, seit sie in New York war.
Der Raum war überfüllt, als sie eintrat, und das hob ihre Stimmung. Sicher würde sie ein bekanntes Gesicht finden. Aber als sie sich der Menge näherte, sah sie, daß sie alle jung waren. So jung, daß sie sich mit ihren zweiunddreißig Jahren, trotz ihres attraktiven Aussehens, uralt und passe vorkam. Sie war zu lange nicht dabeigewesen.
Verdammt, dachte sie, als sie einige Gesprächsfetzen aufschnappte. Das deprimiert mich ja noch mehr.
Sie wollte nicht an das Alter denken, an die Zeit, die viel zu rasch dahinflog. Entmutigt wandte sie sich ab, da rief jemand ihren Namen.
„Julie!“
Sie drehte sich um und sah, wie ein großer Mann mit zerzaustem Haar sich bei zwei Herren, mit denen er sich unterhalten hatte, entschuldigte und auf sie zukam.
„Mike! Mike Abel!“
„Mein Gott, Julie! Was machst du denn in New York?“
„O Mike! Dich hier zu treffen, habe ich nicht erwartet. Du hast doch beim europäischen Film Karriere gemacht.“
„Und ich habe gehört, daß du in Kalifornien das Leben einer braven Ehefrau führst.“
„Das war einmal“, erklärte Julie verbittert. „Das ist vorbei.“
„Oh …“
Eine kleine Pause entstand.
„Ich kann nicht behaupten, daß mir das besonders leid tut“, sagte Mike dann langsam und ergriff Julies Hand. „Ich weiß, wie gemein es ist, wenn ich dir jetzt sage:‚ Das habe ich gleich gewußt’. Aber es muß heraus. Bill war immer schon ein gottverdammter Opportunist ohne Charakter. Was ist passiert, Julie? Erfolg? Eine andere Frau?“
„Beides, Mike.“
Der liebe Mike war immer so direkt. Offen und ehrlich hatte er ihr immer gesagt, was er dachte. Und er war der einzige von all ihren Freunden gewesen, der sie damals gewarnt hatte.
„Bill wird dich ins Unglück stürzen“, hatte er gesagt.
Und sie wollte es nicht glauben. Außerdem wußte sie schon seit den gemeinsamen Tagen auf dem College, seit ihren ersten gemeinsamen schauspielerischen Versuchen, daß Mike sie liebte.
„Ich freue mich so, dich wiederzusehen, Mädchen“, riß Mike sie aus ihren Gedanken. „Ich kann dir gar nicht sagen, was ich fühlte, als ich dich da stehen sah. Ich …“ Er brach ab. „Hör zu, Julie, ich muß gehen. Die Burschen dort …“ er zeigte auf die beiden Männer, mit denen er vorhin gesprochen hatte und die gerade zur Tür gingen. „… und ich, wir müssen nach London fliegen. Ich habe dort ein Drehbuch umzuändern. Aber ich bleibe nur ein paar Tage weg. Wir werden uns sehen, miteinander sprechen, länger und ausführlicher als heute. Wir haben uns doch soviel zu erzählen. Wir rufen uns an, ja?“
„Gut, Mike.“
Er sah ihr in die Augen, und dann zog er sie mit einer impulsiven Geste an sich und küßte sie auf den Mund.
„Damit du weißt, daß sich nichts geändert hat. Zumindest nicht in meinen Gefühlen für dich.“
Abrupt wandte er sich ab und ging zum Ausgang, wo die beiden Männer auf ihn warteten. Julie blickte ihm lächelnd nach. Seine Herzlichkeit hatte ihr wohl getan. Ein guter, lieber Freund war wieder in ihr sonnenleeres Leben getreten. Es war schön zu wissen, daß man nicht mehr so allein war, daß man geliebt wurde.
Sie ging an das andere Ende des Raumes und las die Notizen am Schwarzen Brett. Zwischen den Wohnungsanzeigen suchte ihr Blick die Stellenangebote für Schauspieler. Charakterschauspielerin gesucht, etwa fünfundsechzig Jahre. Junger Mann, sechsundzwanzig bis achtundzwanzig, braunhaarig. Mädchen von neurotischem Typ, zweiundzwanzig, mit französischem Akzent.
Nur junge Leute wurden gebraucht. Oder alte. Julie wußte, daß sie in einem für Schauspieler schwierigen Alter war. Noch nicht alt genug für Charakterrollen, zu reif für jugendliche Liebhaberinnen, zu jung für weibliche Hauptrollen, die die Produzenten außerdem meist mit Stars besetzen wollten.
Wie hatte Mike gesagt?
„Damit du weißt, daß sich nichts geändert hat …“
Damit hatte er nur teilweise recht. Sicher, seine Gefühle für sie waren die gleichen geblieben. Da war er wieder, drauf und dran, sich aufs neue leidenschaftlich in sie zu verlieben.
Weitere Kostenlose Bücher