0678 - Der Zauberschädel
Unregelmäßig hohe Steine schauten aus der Erde hervor. Manche mit einer dünnen Pflanzenschicht überzogen, andere wiederum so blank, als wären sie geputzt worden.
Der Inspektor merkte schon bald die dumpfe Wärme, die ihm aus dem Unterholz entgegenschlug. Von den großen Vögeln sah er nichts mehr.
Sie hielten sich versteckt.
Manche Bäume hatten sich gedreht und streckten ihr braungrünes Geäst dem Ankömmling entgegen, als wollten sie ihm einen besonderen Empfang bereiten.
Der warme Atem aus der feuchten Natur verstärkte sich. Es kam ihm vor, als wäre inmitten des dichten Grüns eine gewaltige Lunge, die diese feuchte Hitze auspumpte.
Sein Blick blieb gespannt, obgleich er äußerlich nichts sah, rechnete er stets mit einer Gefahr, einem plötzlichen Angriff, dem Hervorschnellen der Vögel, und wie immer in derartigen Situationen spannte sich die Haut auf seinem Hals.
Es blieb ruhig.
Schon bald stand Suko dicht vor dem gummiartig verflochtenen Unterholz und nahm zugleich den schweren Duft der Blüten wahr, die auf den Zweigen wuchsen und sich manchmal ausbreiteten wie bunte Kelche. Es war ein betäubender rauschartiger Duft, der sich wie ein Vorhang über ihn legte und an den er sich erst gewöhnen musste.
Einen Pfad, einen Weg oder auch nur eine Lücke entdeckte er nicht.
Wenn er den Dschungel betreten wollte, musste er sich mit den bloßen Händen freie Bahn verschaffen.
Er hätte gern eine Machete gehabt und schaute sicherheitshalber durch die kleinen Lücken hinein in das dichte Grün, in das auch Sonnenstrahlen tupften und an manchen Stellen ein Muster bildeten, das wie ein Fleckenteppich aussah.
Suko duckte sich, als er in die fremde Umgebung eintauchte. Für einen Moment irrten seine Gedanken ab. Er erinnerte sich daran, dass er John Sinclair und auch Mandra Korab im Stich gelassen hatte, um sich selbst auf die Suche nach dem Stab zu machen.
Himmel, wie lange lag das schon zurück? Tage, vielleicht Wochen?
Suko hatte das Gefühl für Zeit ausgeschaltet. Ihm kam es darauf an, den Stab zurückzubekommen, und er hatte lernen müssen, dass nicht alles stimmte, was man sich erzählte, denn ein Besuch am Grab des mächtigen Buddha hatte ihm keinen Erfolg gebracht.
Nur durch den Tipp eines uralten Mönchs, der Wache am Grabmal des Buddha hielt, war es ihm gelungen, den Felsen der Weisheit zu finden, um den sich so viele Legenden rankten.
Suko verschmolz mit den tiefgrünen Schatten des Dschungels. Er kam sich tatsächlich vor wie in einer feuchtschwülen Lunge, denn die Luft, die er einatmete, dampfte ihm entgegen. Das Wissen, sich hoch über der Erde auf einem Felsen zu befinden, ging ihm verloren. Er bahnte sich seinen Weg immer tiefer hinein in diese unbekannte Welt aus Lianen, hohen Gräsern, kleinen Bäumen, von denen manche schief wuchsen, andere wieder gekippt waren und mit ihrem Wurzelwerk aus dem Steinboden hervorragten.
Den ersten Vogel entdeckte er auf einem dieser gekippten Bäume hockend. Das Tier hatte seine Schwingen angelegt, starrte Suko an und wirkte auf ihn wie ein aufgepumpter Pfeil. Die kaum erkennbaren und blassen Augen bewegten sich nicht. Auch der Schnabel zitterte nicht, und Suko konnte das rätselhafte Tier ohne Schwierigkeiten passieren.
Über ihm hatte sich ein grünes Dach gebildet, das nur hin und wieder einige Lücken aufwies, durch die Sonnenstrahlen fallen konnten und den Boden erreichten, wo sie die Feuchtigkeit zu dünnen Nebelwolken in die Höhe wallten. Es war eine sehr andere, eine für den Europäer fremde Welt. Obwohl Suko aus Asien stammte, fühlte er sich mittlerweile dem Alten Kontinent stärker verbunden.
Trotzdem hatte er alles hinter sich gelassen, um den eigenen Weg gehen zu können.
Den zweiten und den dritten Vogel entdeckte er rechts von sich und über sich, wo das Tier im Ästwirrwarr eines Baumes fast nicht zu sehen war.
Eine düstere, dampfende Umgebung hielt ihn gefangen, die an einer Stelle aber zurückwich.
Zuerst glaubte Suko, dass ihm seine Nerven einen Streich spielen würden. Er könnte sich das helle Schimmern zwischen dem Grün der Pflanzenwelt nicht erklären, dann aber entdeckte er, dass es sich nicht um eine Halluzination handelte, denn die helle Fläche blieb tatsächlich.
Er ging jetzt schneller, weil er davon überzeugt war, dass er sein eigentliches Ziel erreicht hatte.
Er erste Schritt, der zweite, der dritte - dann war seine Sicht klar. Was er zu sehen bekam, damit hätte er nie in seinem Leben gerechnet.
Vor ihm
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