0678 - Der Zauberschädel
glitt fort.
Er gab sich selbst den Befehl zum Start. Hochziehen, einen Fuß vom schmalen Vorsprung lösen. Das war dann immer am schlimmsten, diese Sekunde des geringen Halts, wo Suko jedes Mal betete, dass es auch klappen würde.
Er zog - und hörte das Brechen.
Es war ein schreckliches, ein furchtbares Geräusch, das seine Ohren erreichte. Die Sekunde vor dem Absturz, ein Laut, der ihm den Tod verkündete. Und auch der winzige Bruchteil, wo die Panik in seinem Körper hochflutete.
War jetzt alles umsonst?
Unter seiner Hand bewegte sich der schmale Fels, und Suko war gezwungen, an einer anderen Stelle nachzugreifen.
Das schaffte er auch, zog sich einfach hoch und ging durch die Bewegung das volle Risiko ein.
Alles oder nichts.
Er schaffte es. Während dicht über ihm an einer bestimmten Stelle das Gestein abbrach, konnte er den nötigen Halt unter seinem rechten Fuß finden, sich abstützen und mit einem letzten Ruck sich auf die Felsnase drehen, wobei er nicht viel Platz mehr bekam und mit den Beinen noch über dem Abgrund schwebte.
Er lag dort, breitete die Arme aus, als wollte er über eine dünne Eisfläche kriechen. In seinem Kopf rauschte das Blut, aber der Wille, nicht liegenzubleiben, war stärker.
Du mußt weiter! hämmerte er sich ein. Du mußt es einfach schaffen! Du mußt es…
Und so kroch er voran. Die Arme leicht angewinkelt, damit er sich mit den Ellenbogen abstützen konnte. Dabei drehte er sich leicht hin und her, er spürte unter sich die Härte des Felsens und rutschte endlich nach vorn und damit der Sicherheit entgegen.
Suko stieß keine Jubelschreie aus, dazu war er innerlich zu erschöpft, aber das Gefühl der Befriedigung durchströmte ihn schon. Er hatte es geschafft und zählte nun zu den wenigen Personen, die dieses Ziel erreicht hatten. Man sprach davon, dass der dichte Regenwald unter dem Felsen mit den toten Leibern der Abgestürzten übersät war. Das alles zählte in diesem Moment nicht mehr.
Suko kroch weiter und merkte auch unter seinen Beinen endlich den Widerstand.
Ein Beweis, dass er mit seinem gesamten Körper auf dem flachen Felsen lag.
Und dort blieb er liegen!
Der Inspektor war einfach nicht mehr in der Lage, sich zu erheben. Die lange Klettertour forderte ihren Tribut. Die Erschöpfung hielt ihn umklammert, er zitterte am ganzen Leib.
Er brauchte jetzt Ruhe und auch Flüssigkeit, um zu Kräften zu gelangen.
Wie es auf der breiten Felsplatte aussah, hatte ihm niemand sagen können, doch man erzählte sich Geschichten, wonach der Felsen von mächtigen Geistern und Dämonen bewohnt war und es einen Menschen geben sollte, der sie alle unter Kontrolle hielt.
Aber das waren Sagen, für die Wahrheit konnte keiner der Erzähler garantieren.
Im Augenblick quälten Suko auch andere Sorgen. Er musste zusehen, so rasch wie möglich seine alte Form wiederzuerlangen, denn er war davon überzeugt, dass er erst am Beginn stand.
Auf dem Bauch blieb er liegen. Die Gefühle überkamen ihn wie Strömungen. Manchmal hatte er den Eindruck, als würde er davonfliegen können, dann wiederum hatte er den Eindruck, sein Schädel würde zerplatzen. Der nächste Zustand glitt über in ein völlig mattes Gefühl. Da schien überhaupt kein Widerstand in seinem Körper mehr zu sein, jeder Knochen war aufgeweicht und wanderte wie Pudding durch seine Adern.
Suko hatte sehr viele Geschichten über den Felsen gehört. Sie alle waren irgendwo unterschiedlich, aber eine gemeinsame Basis besaßen sie schon.
Man erzählte sich, dass der Felsen nicht leer war. Bewohnt von einer geheimnisvollen Person, von der man nur wusste, dass es sich dabei um einen Mann handelte.
Die Inder sprachen von einem Fremden, keinem Europäer, sondern einem Mann, den sie ebenfalls als Farbigen ansahen, der aber aus einem weit entfernten Kontinent gekommen war.
Suko konnte denken, was er wollte. Vielleicht ein Afrikaner, möglicherweise ein Amerikaner. Jedenfalls würde er dieser geheimnisvollen Persönlichkeit, der man starke magische Kräfte nachsagte, sehr bald gegenüberstehen.
Zunächst blieb er liegen. Die Stille hüllte ihn ein wie eine Decke. Sie war hier oben einfach wunderbar. Nicht einmal das Summen der Insekten drang an seine Ohren. Kein Vergleich zu den Geräuschen innerhalb des Regenwaldes.
Wäre Suko »in« gewesen, hätte er sich einen Rucksack umschnallen müssen, wie es zahlreiche Schüler in Europa taten. Er war aber nicht so auf dem laufenden und hatte die Dinge, die er zum Überleben
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