07 - komplett
Taille genäht hatte. Lady Amesby hatte ihr dazu noch einen wunderschönen schwarzen Spitzenschal gegeben.
Rote Bänder schmückten ihr Haar, und sie war in Festtagsstimmung.
Vor Aufregung wurde ihr ganz flau im Magen, als sie den Steinboden der Halle unter ihren Füßen spürte. „Ginny, das ist doch lächerlich. Warum hast du mir die Augen verbunden?“
„Damit dir die Überraschung nicht verdorben wird, natürlich“, antwortete Ginny.
„Warte hier einen Augenblick. Ich muss etwas holen.“
„Ginny!“, rief Mary ihr nach. Doch sie hörte, wie sich die Tür zum Salon öffnete und schloss, dann war sie allein. Nicht einmal den kleinsten Lichtstrahl konnte sie durch den Schal erkennen, und das beunruhigte sie sehr. Da sie nicht wusste, wo ihr welches Hindernis im Weg stand, hielt sie sich an dem geschnitzten Treppenpfosten fest und rührte sich nicht von der Stelle, um nicht zu stolpern. „Das ist das seltsamste Weihnachtsfest, das ich je gefeiert habe.“
„Aber ich hoffe, es wird ein schönes Fest“, hörte sie Dominicks Stimme. Sie vernahm Schritte, gleich darauf gewahrte sie den vertrauten Duft seines Rasierwassers.
„Du siehst bezaubernd aus, Mary.“
Sie drehte den Kopf in die Richtung, aus der seine Stimme kam, und spürte seine Nähe. „Du sicherlich auch, obwohl ich mich sehr gern mit eigenen Augen davon überzeugen würde.“
Lachend hob er ihre behandschuhten Hände an seine Lippen und hauchte einen Kuss darauf. „Alles zu seiner Zeit.“
„Du und meine Schwester, ihr beide habt heute nur Unsinn im Kopf“, sagte Mary.
„Ganz genau wie deine Tante. Es überrascht mich, dass sie euch derart ermutigt.“
„Sie liebt das Weihnachtsfest ebenso wie du, und ihr gefällt der Trubel.“
„Das hoffe ich. Gewiss wird sie aber dennoch froh sein, wenn sie das Haus wieder für sich allein hat.“
„Da wäre ich mir nicht so sicher.“
Die Tür öffnete sich, und Captain Heelis rief: „Es ist alles bereit!“
Dominick schloss seine Hand um die ihre. „Bist du auch bereit, Mary?“
„Bereit für was?“, fragte sie. Aber sie ließ sich bereitwillig von ihm in den Salon führen. Der Duft nach Immergrün und Zimt war hier noch stärker. Dazu kam noch ein zuckriger und rauchiger Geruch. Einen Augenblick hörte sie nur das Prasseln des Kaminfeuers, dann Musik.
„We wish you a merry Christmas, we wish you a merry Christmas, we wish you a merry Christmas and a happy New Year!“, sang Ginny, gemeinsam mit einem Tenor, bei dem es sich um Captain Heelis handeln musste, und die etwas zittrige Altstimme gehörte gewiss Lady Amesby. „Good tidings we bring to you and your kin! We wish you a merry Christmas and a happy New Year.“
Der Schal glitt von Marys Augen und enthüllte ein wunderbares Bild – genau so hatte sie sich Weihnachten immer erträumt. Grüne Girlanden mit riesigen roten Schleifen zierten alle Bilderrahmen, Tische und sogar die Stuckornamente. Ein mit weißen und goldenen Bändern geschmückter Kussbogen aus Mistel- und Efeuzweigen hing über der geöffneten Tür zum Speisezimmer. Mary sah, dass der Mahagonitisch bereits mit Plumpudding, Gänsebraten und einer Kristallschale mit Rotweinpunsch gedeckt war.
Ein riesiges Holzscheit – ein sogenannter Julklotz – knisterte im Kamin und hielt die Winterkälte fern. Auf der grünen Damastdecke des Tisches, der neben dem Kamin stand, türmten sich Geschenke.
Dominick ließ ihre Hand nicht los, während die anderen so laut und falsch sangen, dass Mary insgeheim vermutete, der fröhliche Chor habe bereits ein wenig am Punsch genippt.
„Was sagst du, Mary?“, flüsterte Dominick ihr ins Ohr. Er klang seltsam beklommen, als ob er sich nicht sicher war, ob es ihr gefiel.
Aber wie konnte es ihr nicht gefallen? Wie konnte sie nicht vor Freude überwältigt sein? Im Zimmer befanden sich Menschen, die sie liebte, und die auch sie liebten.
Hier freute man sich des Lebens. „Es ist perfekt“, sagte sie. Ihre Stimme klang belegt, in ihren Augen schwammen Tränen, die sie schnell wegwischte. „Genau so stelle ich mir Weihnachten vor.“
Sie biss sich auf die Lippe, als die Erinnerung an all die ruhigen, eintönigen Weihnachtsfeste in Derrington in ihr aufstieg, bei denen sie einsam am Feuer gesessen und von solch einem Fest geträumt hatte. Grüne Girlanden, Weihnachtsscheite, Punsch, Musik und die Gesellschaft von geliebten Menschen.
Und nun war dieser Traum zu farbenfrohem Leben erwacht.
Und das hatte sie Dominick zu verdanken.
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