Rätselhafte Umarmung
Prolog
Notre-Dame-Universität, South Bend, Indiana, Frühjahr 1977
»Okay, Leute, es ist soweit - Zeit für das letzte Porträt der Furchtbaren Vier. Passt auf, daß eure Barette gerade sitzen, Mädels. Ich schalte jetzt den Selbstauslöser ein.« Bryan Hennessy kauerte über der 35-Millimeter-Kamera, hantierte an den verschiedenen Knöpfen herum und hielt nur einmal kurz inne, um sich die Brille auf der geraden Nase nach oben zu schieben.
Drei Frauen, in akademische Barette und Talare gehüllt, standen auf dem feuchten Rasen nahe der glatten blauen Oberfläche des St.-Mary-Sees. Die klare, kühle Luft duftete nach Frühlingsblumen, neuem Laub und frisch gemähtem Gras. Vogelgezwitscher mischte sich mit Alice Coopers »School's Out«, das aus einem Lautsprecher in einem fernen Wohngebäude wummerte.
Bryan schielte durch den Sucher und richtete das Objektiv auf seine drei besten Freunde: Faith Kincaid, Alaina Montgomery und Jayne Jordan.
Er fand es völlig normal, dass seine drei besten Freunde Frauen waren. Er mochte Frauen eben. Diese drei waren für ihn wie Schwestern, ein Ersatz für die Geschwister, die er in Chicago zurückgelassen hatte. Er schätzte ihre Gesellschaft, ihre Ansichten, ihre Unterstützung. Er genoss es, mit ihnen befreundet zu sein. Er vermisste sie schrecklich, dabei hatten sie sich noch nicht einmal voneinander verabschiedet. Aber allein bei diesem Gedanken wurde ihm schwer ums Herz.
Er stellte die Entfernung ein; die Gestalten im Sucher verschwammen und wurden dann wieder klar. Er hoffte, dass sein Gedächtnis die Erinnerung an sie mit der gleichen klaren Schärfe bewahren würde.
Faith Kincaid, in deren unschuldigen, dunklen Augen heimliche Tränen funkelten, zupfte die Schultern ihres Talars zurecht, rückte das Barett gerade und strich die langen Locken ihres glänzenden, blonden Haares zurück. Mit einem leisen Seufzer stellte sie sich in Positur und setzte ihr sonniges Lächeln auf. Sie gab sich alle Mühe, tapfer und optimistisch auszusehen.
Bryan hatte sie insgeheim immer als Madonna bezeichnet - sie war so süß, so ernst, so freundlich und gütig. Die Vorstellung, daß Faith sich nun ins richtige Leben hinauswagen sollte, beängstigte ihn ein bisschen. Sie war zu vertrauensselig. Wer würde auf sie aufpassen? Wer würde sie von jenen Männern fernhalten, die ihre natürliche Unschuld ausnützen wollten?
Bei Alaina, die rechts von Faith stand, machte er sich deswegen keine Sorgen. Die große, kühle, abgebrühte Alaina traute keinem über den Weg. Bryan bezweifelte, daß sich viele Männer an die »Eisprinzessin« heranwagen würden. Aber würde es überhaupt Männer geben, die mutig genug waren, die eisigen Mauern zu überwinden und die einsame Frau dahinter zu erobern?
Im Augenblick wirkte sie angespannt, und Bryan spürte, wie unwohl ihr bei dem Gedanken an das war, was gleich kommen würde - die Zeremonie, die ihrem Abschied so viel Pathos verleihen würde, und die aufgesetzt fröhliche Feier danach mit ihrer flatterhaften Schickimicki-Mutter und ihrem neuesten Stiefvater. Alaina gab sich gern zynisch und so praktisch wie ihr kurzgeschnittenes dunkelbraunes Haar, aber Bryan wusste, daß sich unter dem burschikosen Äußeren ein zartfühlendes Herz verbarg, für das die anderen drei aus ihrer Clique die einzige Familie waren, die Alaina je gekannt hatte. Er spürte schon jetzt, wie sehr sie unter ihrer Einsamkeit leiden würde.
Am anderen Ende der Reihe stand die zierliche Jayne Jordan, deren Koboldgesicht von großen schwarzen Augen unter einer Wolke wilder, kastanienbrauner Locken beherrscht wurde. Jayne war eine scharfe Beobachterin, die jedes Detail um sich herum registrierte und ihrem Gedächtnis einverleibte. Sie war die »Spinnerin« unter ihnen, weil sie sich für alles Mystische interessierte. In vielerlei Hinsicht war sie seine Seelenverwandte. Jayne verstand viel von Zauber und Magie. Aber wer würde Jayne verstehen?
Diese drei waren Bryans beste Freunde. Sie hatten sich gleich im ersten Jahr zusammengefunden. Vier Menschen, die nichts gemeinsam hatten außer dem Fach »Mittelalterliche Gesellschaftslehre«. Während der folgenden vier Jahre hatten sie einander durch bestandene und nicht bestandene Prüfungen, durch Triumphe und Tragödien - und durch unheilvolle Romanzen begleitet. Sie waren Freunde im wahrsten, tiefsten Sinn des Wortes.
Melancholie drohte ihn niederzudrücken wie eine nasse Wolldecke. Bryan ignorierte sie, so gut er konnte. Er
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