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070 - Komplott der toten Moerder

070 - Komplott der toten Moerder

Titel: 070 - Komplott der toten Moerder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fritz Steinberg
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unübersehbaren grausamen Linien. Da auch die alten Linien noch andeutungsweise geblieben waren, wirkte die Haut wie aus Flicken zusammengenäht. Die Augen waren von europäischem Schnitt, aber zu Schlitzen gekniffen.
    Hassan Marfadra fuhr zurück. Das heißt, er wollte zurückfahren, konnte es aber nicht. Sein übriggebliebener Persönlichkeitsfunke floh in den hintersten Winkel des Gehirns, das noch vor zwei Stunden ihm allein gehört hatte. Dort hinten weinte, kreischte und brüllte er in der gräßlichen Lautlosigkeit dessen, der keinen Mund und keine Augen mehr hat.
    Wie viel Zeit verging, bis er aus seiner Betäubung wieder erwachte, wußte er nicht. Doch der lautlose Schreikrampf hatte ihm keine Erleichterung verschafft. Das Erwachen brachte nicht die ersehnte Erkenntnis, er habe sich etwas eingebildet. Jetzt war der Schrecken nur klarer, eisiger.
    Er bemerkte, wie das fremde Wesen seine, Marfadras, Augen mit kaum versteckter Gier an jeder vorbeigehenden Frau entlanggleiten ließ. Er hörte in sich das teuflische Lachen.
     

     
    Frauen in mittlerem Alter schienen den eingedrungenen Geist am meisten zu interessieren. Immer aber war eine eiserne Wand da, die Marfadra den Zutritt zu großen Teilen seines eigenen Gehirns verwehrte, so daß er außer diesen eher oberflächlichen Einzelheiten von dem eingedrungenen Bösen nichts erkennen konnte. Marfadras Gehirn ließ sich mit einem Haus vergleichen, in dem ihm nur noch ein kleines Gelaß gehörte, während er vorher unumschränkter Eigentümer des ganzen Gebäudes war.
    Marfadra wurde in engere Straßen gelenkt. Vor sich erkannte er eine Menschenansammlung. Sein Körper hielt genau darauf zu.
    Eine Menschenmenge umstand zwei Autos, die frontal zusammengestoßen sein mußten: Beide Wracks waren völlig ineinander verkeilt. Ein Murmeln und Wispern ging durch den Gafferkreis. Deutlich war in einem Fahrzeug der eingeklemmte, bewegungslose Fahrer zu sehen. Aus der Türöffnung des anderen Autos hing rücklings, mit dem Kopf voran eine Frau. Marfadra konnte sie nur mit dem Abstand sehen, der dem Unglück anderer gilt. So traf ihn der Aufruhr, den sein unheimlicher Gast in diesem Augenblick innerlich hervorrief, völlig unvorbereitet.
    Durch Marfadras Gehirn hallten entsetzliche Schreie – nicht menschlich, nicht tierisch, nicht von dieser Welt. Die Gier, mit der der andere seine Blicke zwischen dem blutüberströmten Gesicht und den Schenkeln der Unglücklichen hin und her wandern ließ, durchraste den gemeinsamen Körper wie Höllenfeuer.
    Hassan Marfadra sah, wer seinen Körper in Besitz genommen hatte.
    Er befand sich in der Gewalt eines Toten, der aus der Hölle zurückgekommen war. Seinen Körper lenkte ein hingerichteter Massenmörder der Jahrhundertwende, dessen Fall damals ungeheures Aufsehen erregt hatte: Landru. Die Opfer waren immer Frauen gewesen.
    Ein Krankenpfleger aus dem Unfallwagen deckte die verunglückte Frau zu. Das Toben in Marfadra ebbte ab und verstummte. Mit einem mal hörte er wieder die völlig normale innere Stimme: „Nun weißt du es ja. Deine Neugier ist lästig. Hier, da hast du etwas, was deine Neugier befriedigt.“
    Eine fremde Erinnerung überflutete Marfadras Bewußtsein.
    Es war ein kaltes, dumpfes Erlebnis, das kein Mensch dieser Erde gehabt haben konnte: Marfadra lag (so spiegelte die fremde Erinnerung ihm vor) in völliger Dunkelheit. Um ihn her waren ganz enge Wände, nur Zentimeter von seinen Füßen entfernt, nur Zentimeter über seinem Gesicht. Aber gleichzeitig waren diese Bohlenwände Ewigkeiten entfernt, denn er fühlte sich außerstande, sie zu berühren. Er lag, umgeben von Modergeruch, in einem Sarg und war tot.
    Unendlich lange lag er so und bewegte sich nicht und dachte nichts, war aber da. Es war ein qualvolles Dämmern. Er fühlte sich wie in einer halb erstarrten Gummilösung eingebettet. Und obwohl dies für Marfadra nur eine vorübergehende aufgezwungene Täuschung war, durchlitt er, was ein Toter durchleidet. Die Täuschung war bestechend echt.
     

     

So also fing es an: Ein Marokkaner kommt nach Paris, wo er zum erstenmal in seinem Leben Neonlicht sieht. Auf ihn hat dieses ganz alltägliche Reklamelicht eine schreckliche Wirkung – er wird dadurch zum Medium, zum Sklaven eines hingerichteten Mörders. Was praktisch bedeutet, daß ein totes Ungeheuer durch das nächtliche Paris geht, ausgestattet mit großer Erfahrung darin, grauenvolle Taten zu begehen und hinterher zu entkommen. Und der Polizei völlig

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