070 - Neues vom Hexer
er aus England und wandte sich nach Deutschland. Obwohl er von Scotland Yard verfolgt wird, hatte er die Kühnheit, Chefinspektor Bliss einen Brief zu schreiben, in dem er sich über die vergeblichen Bemühungen der Polizei, ihn zu fangen, lustig machte. Dieser Brief war in Berlin aufgegeben worden. Der Hexer, wie er in England allgemein genannt wird, ist ein Meister in der Kunst, in den verschiedensten Rollen aufzutreten. In Berlin wird er bereits wegen eines neuen Verbrechens gesucht .
Henry Miltons Züge verhärteten sich.
Bis jetzt hat der Hexer nur Leute getötet, aber niemals beraubt. Einen nach dem anderen hat er gemordet, aber seine Opfer hatten entweder ihm selbst ein Unrecht zugefügt, oder sie hatten sich irgendwie an ihren Mitmenschen vergangen. Daß er die Leute beraubt, ist etwas Neues .
»Das ist allerdings toll«, sagte der Hexer. »Ich glaube, Joe Ellroyd hat vergessen, was er mir versprochen hat!« Mit dem Nachtzug verließ er Berlin wieder. Er hatte einen Paß in der Tasche, der auf Erich Rastermann, geboren in München, lautete. An Bord des Dampfers nach England ging er als Joseph Sampson aus Leeds, und in das Gästebuch des Craven-Street-Hotels in London trug er sich dann wieder unter einem anderen Namen ein.
Den nächsten Tag brachte er damit zu, Zeitungen durchzulesen und alle Einzelheiten über das Verbrechen zu sammeln, das ein anderer unter seinem Namen begangen hatte.
In einer naßkalten Nacht fuhr ein Postauto von London auf der Great West Road nach Colnbrook und Slough.
Der Wagen hatte sich verspätet, konnte aber unmöglich schneller fahren, ehe er Slough passiert hatte. Die Straße ist an der Stelle verhältnismäßig eng und hat viele Kurven.
Als der Chauffeur in die Nähe von Colnbrook kam, sah er etwa eineinhalb Kilometer vor dem Dorf eine rote Lampe, und im Licht der Scheinwerfer entdeckte er einen Mann in einem Regenmantel, der auf die Seite der Straße zeigte. Er hielt an, und der Fremde kam dicht zu ihm heran.
»Was ist los?« fragte der Beamte im Wagen.
»Aussteigen!«
Der Chauffeur sah die Waffe in der Hand des Fremden auf sich gerichtet und wollte wieder anfahren .
Ein Schuß fiel, und der Beamte sprang mit einer Pistole in der Hand auf die Straße.
Als die Polizei ihn zwei Stunden später auffand, war er noch am Leben. Das Postauto war aufs Feld gefahren worden. Der schwerverletzte Mann berichtete noch in abgerissenen Worten, aber kurz darauf starb er, noch bevor seine Aussagen zu Protokoll genommen werden konnten.
Chefinspektor Bliss erschien sofort am Tatort, aber es boten sich ihm nur wenig Anhaltspunkte.
Es war beobachtet worden, daß ein Motorrad mit Beiwagen fünf Minuten nach drei durch Colnbrook fuhr. Ein Mann in einem braunen Ledermantel hatte es gefahren und dabei mit seiner Begleiterin gesprochen. Es mußte sich um eine Frau handeln, da der Polizist, an dem sie vorbeigefahren waren, deutlich die Worte »Mein liebes Kind« gehört hatte. Dem Polizisten selbst hatte er »Guten Abend« zugerufen.
Zehn Minuten später hätte er durch Slough fahren müssen, aber in dieser Stadt hatte man ihn nicht gesehen. Er mußte also in die Straße nach Windsor eingebogen sein. Auf dem Postauto stand in großen Buchstaben: >Wieder der Hexer!<
Bliss las es, und ein verächtliches Lächeln zuckte um seinen Mund. Aber wenn er auch über diese Tollkühnheit lächelte, geriet doch das ganze Land über dieses neue Verbrechen in Aufregung, und die Zeitungen protestierten in schreienden Überschriften gegen die Untätigkeit der Polizei. Trotzdem blieb Mr. Bliss bei seiner Meinung.
Colonel Walford lehnte sich in seinen Sessel zurück und spielte mit einem Bleistift, während er dem Bericht lauschte.
»Wenn es tatsächlich der Hexer sein sollte«, sagte Chefinspektor Bliss, »dann muß er seine Methoden vollkommen geändert haben. Es ist doch in Scotland Yard allgemein bekannt, daß er nur getötet hat, um Schandtaten zu sühnen, die jemand gegen Schwächere begangen hatte und für die er vom Gesetz nicht bestraft worden war. Der Hexer ist in der Beziehung wirklich ein Charakter. Das haben wir doch schon oft genug festgestellt.«
Colonel Walford sah ihn beunruhigt an.
»Das ist ja alles ganz gut und schön, aber man kann doch über die Tatsache nicht ohne weiteres hinweggehen, daß mit Kreide auf dem Postwagen geschrieben stand: >Wieder der Hexer! < Dasselbe stand doch auch auf der Tür des Geldschrankes im Rugeley-Hotel. Und bei dem Banküberfall waren dieselben Worte mit
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