070 - Neues vom Hexer
aber auch dadurch wurde er nicht klüger. Er lachte und wollte den Brief schon zerreißen, überlegte es sich aber im letzten Augenblick anders. Später am Morgen sprach er mit seinem Sekretär. »Schicken Sie diesen Wisch mit einem Begleitschreiben an Scotland Yard.« Er hätte die unangenehme Sache vergessen, wenn er nicht bei der Rückkehr vom Mittagessen einen Herrn in seiner Wohnung angetroffen hätte. Der Mann sah düster aus, trug einen kurzen schwarzen Bart und stellte sich als Chefinspektor Bliss von Scotland Yard vor.
»Ach, kommen Sie wegen des Briefes? Das ist doch Blödsinn! Sie nehmen die Sache doch nicht etwa ernst?«
Bliss nickte langsam.
»Ich nehme sie so ernst, daß ich Sie für ein oder zwei Monate von zweien meiner besten Leute bewachen lasse!«
Miska sah ihn ungläubig an.
»Wollen Sie das wirklich tun? Aber mein Diener hat mir doch gesagt, daß der Herr ein Verbrecher ist, den die Polizei sucht. Der wagt es doch sicher nicht, nach London zu kommen!«
Bliss lächelte grimmig.
»Der wagt alles. Er geht sogar zu Scotland Yard, wenn es ihm Vergnügen macht. Und für Fälle wie den Ihren interessiert er sich ganz besonders.«
Der Beamte erzählte ein wenig über den Hexer, und Miska Guild wurde plötzlich sehr aufgeregt.
»Das ist doch aber entsetzlich… einen Mörder läßt man doch nicht frei herumlaufen? Können Sie ihn denn nicht fangen? So etwas ist mir noch niemals vorgekommen! Außerdem war die Sache in Paris tatsächlich ein Unglücksfall. Das arme, verrückte Ding hat die Türen verwechselt – «
»Ich bin über den Vorfall genau orientiert, Mr. Guild«, entgegnete Bliss ruhig, »und möchte nicht gern mit Ihnen darüber sprechen. Aber eins muß ich Ihnen sagen: Ich kenne den Hexer und seine Methoden wohl am besten, und ich kann Ihnen versichern, daß er sein Wort unter allen Umständen hält. Wir müssen Sie also beschützen. Stellen Sie kein neues Personal ein, ohne mich zu verständigen, und benachrichtigen Sie mich täglich, wohin Sie gehen und was Sie unternehmen wollen. Der Hexer ist meines Wissens der einzige Verbrecher auf der Welt, der sich nur auf seine Verkleidungskunst verläßt. Wir haben in Scotland Yard kein Foto von ihm, und ich bin einer der wenigen, die ihn jemals ganz ohne Maske gesehen haben.«
Miska war wenig erfreut über die Aussicht, sich im voraus festlegen zu sollen. Er gehörte zu den impulsiv veranlagten Menschen und wußte niemals genau, wo er sich in der nächsten Stunde aufhalten würde. Außerdem wollte er nach Berlin reisen -
»Wenn Sie England verlassen, bin ich nicht für Ihre Sicherheit verantwortlich«, erwiderte Bliss kurz.
Mr. Guild wurde bleich.
Zuerst betrachtete er die Angelegenheit als einen Scherz, aber nach vier Wochen wurde er nervös, als er ständig Detektive in seiner Nähe sah.
Und eines Abends brachte ihm Bliss die bestürzende Nachricht, daß der Hexer in England sei.
Miska schaute ihn entsetzt an.
»Woher wissen Sie das?« fragte er mit stockender Stimme. Aber der Chefinspektor gab ihm keine nähere Auskunft, da er weder von Freddy noch von dem eigenartigen Benehmen des rotbärtigen Mannes sprechen wollte.
Freddy wohnte in einem kleinen Haus, das einer tauben alten Frau gehörte. Sie hatte schon unangenehmere Mieter gehabt als Freddy, obwohl er schäbige Kleider trug, große, vorstehende Zähne und ein Trinkergesicht hatte.
Eines Abends ging er heimlich auf die Polizeiwache, denn Inspektor Stourbridge hatte nach ihm geschickt.
»Es gibt morgen einen Einbruch bei dem Juwelier Lowe in Islington, Mr. Stourbridge. Ein paar Kerle von Notting Dale sind dabei, und die Ware wird bei dem Hehler Elfus untergebracht. Haben Sie mich deshalb geholt?«
Freddy kniff die roten Augenlider zusammen und drehte den Hut in den Händen. Sein zerlumpter Mantel berührte fast den Boden.
Stourbridge kannte viele Polizeispitzel, aber Freddy war ein neuer Typ für ihn.
Er zögerte, sagte ihm dann, daß er einen Augenblick warten solle, und ging in das nächste Zimmer.
Chefinspektor Bliss saß an dem Tisch, ein dickes Aktenstück lag vor ihm.
»Der Mann ist jetzt da, von dem ich Ihnen erzählt habe. Wir haben noch keinen besseren gehabt, und solange er nicht irgendein ungewöhnliches Risiko eingehen muß oder wenigstens nichts davon weiß, ist er von unschätzbarem Wert.«
Bliss zupfte an seinem schwarzen Bart.
»Weiß er, warum Sie ihn gerufen haben?«
Stourbridge grinste. »Nein – ich habe ihn beauftragt, mir Informationen über
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