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0703 - Stunden der Angst

0703 - Stunden der Angst

Titel: 0703 - Stunden der Angst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: W.K. Giesa und Claudia Kern
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nachgelassen und sie entdeckte Umrisse, die sich langsam aus der Schwärze schälten.
    »Ich sehe was«, sagte sie leise.
    Neben ihr schwieg Tendyke einen Moment.
    »Ich auch«, antwortete er dann. Seine Stimme klang ebenso befreit, wie Nicole sich fühlte. Die Angst, die sie die ganze Zeit mit sich getragen hatte, wich mit jedem undeutlich erkennbaren Baum. Sie hob die Hand vor die Augen und sah, wie sich ihre Finger bewegten.
    Ich bin nicht mehr blind, dachte sie erleichtert. Die Flucht durch den Wald erschien ihr plötzlich wie ein Albtraum. Sie und Rob hatten sich aneinander festgehalten, waren mit ausgestreckten Armen gegen Hindernisse geprallt und so oft gefallen, dass sie nach einer Weile aufgehört hatten zu zählen. Jedes unbekannte Geräusch war ihnen wie eine Bedrohung erschienen, jeder Schritt wie ein unkalkulierbares Risiko.
    »Ich will so etwas nie wieder erleben«, sagte Tendyke aufatmend.
    Nicole nickte und sah ihn an. Sein Gesicht verschwamm noch ein wenig in ihrem Blick, aber trotzdem bemerkte sie die blutigen Kratzer und den Dreck, die ihn beinahe unkenntlich machten. Der Weg durch den Wald hatte bei ihnen beiden Spuren hinterlassen.
    Tendyke fuhr sich mit der Hand über die Augen. »Ich sehe alles noch etwas undeutlich, aber bei dieser Dunkelheit dürften unsere Verfolger auch nicht mehr sehen. Scarth hat die Suche vermutlich schon abgebrochen und überwacht nur die Straßen. Wenn wir am Waldrand bleiben, können wir uns an seinen Leuten vorbei schleichen und im Morgengrauen auf einen der Güterzüge nach Norden aufspringen. Zwischen den Wanderarbeitern werden wir nicht auffallen.«
    Nicole warf einen Blick auf ihre völlig verdreckte und zerrissene Kleidung. »Meinst du nicht, wir sollten uns vorher was zum Anziehen besorgen? Wenn der Lehm getrocknet ist, werden wir aussehen wie Terrakotta-Figuren.«
    Rob schüttelte den Kopf. »Die Leute, mit denen wir fahren, besitzen nicht mehr als die Kleidung an ihrem Körper. Je abgerissener wir wirken, desto besser.«
    Er stand auf und verzog das Gesicht. »Ich fühle mich, als wäre ich mit jedem Baum in diesem Wald zusammengeprallt.«
    »Ich glaube, wir haben nicht viele ausgelassen«, sagte Nicole lächelnd. Dann wurde sie ernst. »Was ist mit Zamorra und Carsten? Wir wissen nicht, ob sie es geschafft haben.«
    »Zumindest haben wir keine Schüsse oder Schreie gehört. Ich nehme an, das ist ein gutes Zeichen.«
    Nicole stand ebenfalls auf und versuchte die Dunkelheit mit Blicken zu durchdringen. Sie teilte Robs Optimismus nicht, sondern hielt es für ebenso wahrscheinlich, dass einer oder auch beide gefasst worden waren.
    »Wir sollten uns Gewissheit verschaffen.«
    Tendyke seufzte. »Aber wie? Willst du zurück nach Tendyke's Home ? Das wäre Irrsinn. Hör zu, Nicole. Zamorra und Carsten wissen, dass wir nach Baton Rouge wollen. Wenn man sie nicht geschnappt hat, sind sie vermutlich schon auf dem Weg dorthin. Wir helfen niemandem, indem wir in die falsche Richtung gehen. Damit erhöhen wir nur unser eigenes Risiko.«
    Nicole wusste, dass er Recht hatte, aber sie hatte trotzdem den Eindruck, Zamorra und Carsten im Stich zu lassen, wenn sie jetzt einfach verschwanden.
    »Lass uns darüber reden, wenn wir in Baton Rouge sind«, bat Rob. »Wenn sie nicht dort sind, können wir immer noch zurückkehren.«
    »D'accord«, stimmte sie zu. »Zamorra und ich haben in der Nähe der Stadt eine Hornisse im Wald versteckt. Sind er und Carsten nicht bei den Blumen, fliegen wir damit zurück nach Tendyke's Home und befreien sie. Einverstanden?«
    Tendyke nickte. »Einverstanden. Wir…«
    Ein dumpfes Grollen unterbrach ihn. Er sah in den tiefschwarzen Himmel und seufzte. »Oh nein… Nicht auch noch ein Gewitter…«
    Seine Worte schienen als Aufforderung missverstanden zu werden, denn nur Sekunden später zuckte ein weißer Blitz über die Bäume hinweg. Um Nicole herum schlugen Regentropfen so groß wie Gewehrpatronen auf die Blätter, die sich unter ihrem Gewicht bogen und abbrachen. Das Prasseln des Regens übertönte die Geräusche des nächtlichen Waldes.
    »Wir sollten irgendwo Schutz suchen«, rief sie über den Lärm hinweg.
    »Hier gibt es nichts außer Bäumen und Sumpf. Die Farmer werden uns erschießen, wenn wir auch nur in die Nähe ihrer Hütten kommen. Lass uns die Straße suchen. Vielleicht entdecken wir dort etwas.«
    Nicole wischte sich die nassen Haare aus dem Gesicht. Der Regen war tropisch warm und wusch ihnen das Blut und den Lehm aus der

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