0718 - Tango Fatal
die eigene Sprache behalten.«
»Das stimmt wohl.« Ich steckte das Kreuz wieder weg. »Aber es hat nichts mit unserem Fall zu tun.«
»Kann sein.«
»Sind Sie eigentlich zum erstenmal hier im Haus?«
Er nickte heftig. »Seit langer Zeit. Allein würde ich mich nicht trauen, aber Monsieur Piccard hat so gut über Sie gesprochen, daß ich es mit Ihnen zusammen wagte. In der Dunkelheit können Sie mir noch Geld geben, ich würde trotzdem nicht hineingehen.«
»Dafür habe ich Verständnis.«
Lacre stemmte seine Hände in die ausgebeulten Hosen und trat an mich heran. »Darf ich Ihnen eine Frage stellen, Monsieur Sinclair?«
»Immer.«
»Was wollen Sie jetzt tun, wo Sie selbst erlebt haben, was mit diesem Haus los ist?«
Ich lächelte. »Das ist eine gute Frage, Monsieur Lacre, eine sehr gute sogar. Aber ich weiß es nicht. Ich kann es Ihnen wirklich nicht sagen. Ich muß erst noch nachdenken.«
»Worüber denn?«
»Das weiß ich auch nicht. Jedenfalls über dieses Haus. Außerdem möchte ich mit Monsieur Piccard sprechen.«
»Der wartet im Ort.«
»Dann lassen Sie uns gehen.«
Er wollte noch nicht, seine Neugierde war einfach zu stark. »Aber der Fall ist doch für Sie nicht abgeschlossen, oder täusche ich mich da?«
»Nein, Monsieur Lacre, Sie täuschen sich bestimmt nicht. Ich weiß nur noch nicht, wo ich den Hebel ansetzen soll. Ich möchte zurück in mein Hotel und nachdenken.«
»Sie sind der Chef. Dann gehen wir.«
Er war etwas pikiert. Wahrscheinlich deshalb, weil ich ihn nicht in meine Pläne eingeweiht hatte.
Aber die existierten noch nicht. Und wenn, dann hätte ich diesen Mann auf keinen Fall eingeweiht.
Er war nur ein Mittler, mehr nicht.
Ich dachte daran, daß in diesem Haus einmal eine Tanzschule gewesen war. Groß genug war das Zimmer, aber nicht zu groß, um vielleicht zwanzig Paare hier üben zu lassen.
Ich mußte einfach mehr Informationen bekommen, und da konnte mir ein gewisser Pierre Piccard sicherlich helfen. Schließlich hatte er mich gebeten, hier zu erscheinen, und das auch nur, weil er ein guter Bekannter meines alten Templer-Freundes Abbé Bloch war. Gaston Lacre war froh, das Haus verlassen zu können. Vor der Eingangstür atmete er tief durch. Obwohl es ziemlich kühl war, lagen auf seiner Stirn kleine Schweißtropfen, die er mit einem Taschentuch wegwischte. »Jetzt geht es mir besser, Monsieur Sinclair.«
»Das glaube ich Ihnen.«
Ich war neben dem Mann stehengeblieben. Mein Blick glitt nach vorn, den Bergen der Vogesen entgegen, die ein dunkles Haar aus starren Wellen bildeten. Auf der anderen Seite des Rheins lag der Schwarzwald. Er und die Vogesen würden bald eine herbstliche Färbung bekommen. Die Sonne hatte viel von ihrer Kraft eingebüßt und mußte am morgen mühsam gegen die Nebelschwaden ankämpfen, die aus den Tälern hervorstiegen. Auch jetzt sah ich sie in die Höhe wallen und dabei die Natur umschlingen wie ein grauweißes Gespinst.
Die Landschaft war etwas traurig geworden. Die ersten kalten Winde wehten über die Höhen und kündeten davon, daß der Monat November nicht mehr weit entfernt war.
»Fahren wir?« fragte ich.
»Ja, sehr gern.« Lacre wirkte erleichtert.
Ich warf noch einen Blick zurück.
Das dunkle Haus stand einsam da. Es erinnerte mich an eine Festung. Und ich dachte daran, daß dies zwar mein erster, aber nicht mein letzter Besuch in den Mauern gewesen war.
Ich wollte dieses Rätsel lösen. Das war ich mir selbst und auch den Menschen hier schuldig…
***
Auch über dem Ort hing ein dünner Nebelschleier. Es mochte daran liegen, daß er von einem Fluß durchflossen wurde, der seine Quelle irgendwo oben in den Bergen hatte. Hier war die Welt noch wunderschön und heil, da stand die Luft in punkto Sauberkeit dem Wasser in nichts nach. Wäre der Himmel blau gewesen und hätte die Sonne geschienen, so wäre die Idylle wirklich perfekt gewesen, so aber hüllte uns der Dunst ein, der auch fahnengleich durch die schmalen Straßen und Gassen trieb.
Er verwischte das wunderschöne Fachwerk der Häuser. Er trieb an den blanken Scheiben vorbei und ließ auch den Dorfbrunnen nicht aus, der den Mittelpunkt eines Platzes im Zentrum des Ortes bildete.
Dort hielt ich an und ließ Gaston Lacre aussteigen. »Falls Sie mich brauchen, Monsieur Sinclair«, sagte er, als er in den Wagen zurückschaute, »lassen Sie es mich bitte wissen.«
»Klar.«
Gaston Lacre ging so schnell weg, als wäre er froh darüber, mich nicht mehr sehen zu
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