0749 - Hort der Wölfe
2003, Frankreich, Loiretal…
Robert Tendyke, seines Zeichens Abenteurer und Alleininhaber eines weltweit verzweigten Firmenimperiums, war nach Frankreich, ins schöne Loiretal gekommen, um seinen Freund, den Parapsychologen und Dämonenjäger Professor Zamorra zu besuchen.
Für Robert Tendyke bedeutete dies eine Reise quer über den Atlantik - die Tendyke allerdings nicht wirklich unternommen hatte. Stattdessen hatte er die ›Abkürzung‹ über die Regenbogenblumen genommen, die unter anderem in der Nähe von Tendyke's Home in Florida und in den Kellergewölben unter Château Montagne, Zamorras Wohnsitz im südlichen Loiretal, wuchsen.
Diese immer noch rätselhaften Pflanzen erlaubten einen zeitlosen Transit von einem Ort, an dem sie wuchsen, zum anderen: Wer sie benutzen wollte, trat zwischen sie, stellte sich sein Ziel vor, und - schwupps! - war er dort.
Auf diesem kurzen Weg also war Robert Tendyke über den Großen Teich nach Frankreich ins Château gekommen, um seine Weinbestände zu Hause aufzuforsten.
Zamorra hatte die zum Schloss gehörenden Weinberge verpachtet und erhielt alljährlich, als Deputat, etliche Kisten bester Weine aus sonnigster Hanglage von den Pächtern, mehr als er und seine Lebensgefährtin Nicole Duval sowie Gäste, die sie gern und möglichst häufig um sich hatten, trinken konnten. Deshalb ließ er seine Freunde sich großzügig von den über die Jahre gehorteten Vorräten bedienen.
Natürlich bediente sich Tendyke trotzdem nicht ungefragt, sondern machte erst einmal seine Aufwartung beim Hausherrn. Was erst einen Plausch zur Folge hatte, dann die Idee, eine Flasche Wein zu köpfen, um zu sehen, »ob das Zeug überhaupt noch was taugt«, wie sich Zamorra ausdrückte.
Man machte es sich vor dem Kaminfeuer bequem und redete über vergangene Abenteuer, und irgendwann erwähnte Zamorra aus irgendeinem Grund und in irgendeinem Zusammenhang den Namen Fletcher Strongtree.
Fletcher Strongtree war ein Navajo, den er und Nicole vor einiger Zeit in Las Vegas kennen gelernt hatten, als Mitverantwortlichen einer Stiftung zur Erforschung, Pflege und Veranschaulichung der Historie und Traditionen der Native Americans. Diese Stiftung wiederum hatte Zamorra als Vortragenden zu einem Symposion eingeladen.
Bei dieser Veranstaltung war es jedoch nicht geblieben; nebenher hatten es Zamorra und Nicole mit dem Wirken einer uralten Macht zu tun bekommen, die unter anderem Kojoten zu Killern machte - und in diesem Geschehen hatte auch Fletcher Strongtree eine höchst mysteriöse Rolle gespielt. [1]
Schlau geworden waren Zamorra und Nicole aus Strongtree bis heute nicht, was in erster Linie daran lag, dass sie die Rätsel, die er ihnen aufgab, nicht weiterverfolgt hatten; aber von Zeit zu Zeit kam dieser Mann Zamorra wieder in den Sinn.
So wie heute eben.
Als Zamorra mit dem Bericht seines Abenteuers, das er damals in Las Vegas erlebt hatte, endete, meinte Tendyke grübelnd: »Strongtree, Strongtree… hmm, den kenn ich!«
»Ach ja?«, fragte Zamorra erstaunt.
»Ja. Seit etwa neunzig Jahren schon.«
»Wie das?« Zamorra schaute Tendyke verblüfft an.
»Das ist eine lange Geschichte.«
»Erzähl sie trotzdem.«
»All right«, sagte Tendyke. »Die Geschichte beginnt im Jahre 1911, im US-Bundesstaat Ohio…«
***
1911, im US-Bundesstaat Ohio…
Rebecca Dale, die Werwölfin, jagte durch die Nacht, rannte um ihr Leben, vorwärts gepeitscht von panischer Furcht.
Es gab ihn also tatsächlich - ihn, den sie nur den ›Jäger‹ nannten. Der jene jagte, die nur eines kannten: selbst zu jagen. Menschliche Beute. Weil ihre Natur - von der Unwissende als ›Fluch‹ sprachen - ihnen keine andere Wahl ließ, mehr noch, nicht zuließ, dass sie eine solche Wahl überhaupt wollten.
Und nun, seit einiger Zeit schon, waren sie, die Jünger des Mondes, von Jägern zu Gejagten geworden.
Dass Werwölfe zu Tode kamen, war nicht so ungewöhnlich. Es kam immer wieder einmal vor. Die Menschen kannten entsprechende Wege und vor allem Mittel: geweihtes Silber, Enthauptung und so weiter… Aber diese jüngsten Fälle lagen anders: Dieser eine, der Jäger eben, veranstaltete eine regelrechte Hatz, die er mit System betrieb. Und unbarmherzig. Als kenne er keinen anderen Lebensinhalt als die Jagd auf diese ganz besondere, uralte Gattung von Wölfen.
Irgendwie gelang es ihm, sie - die sie zumeist unerkannt unter Menschen lebten - ausfindig zu machen, als könne er hinter ihre harmlos wirkenden, oft gar
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