0754 - Der Zeitsauger
sprang behände zur Seite. Wilde krachte mit voller Wucht in das Bücherregal. Während er sich wieder aufrappelte, riss Zamorra sich Merlins Stern von der Brust, hielt ihn hoch und…
Er hörte neben sich einen Schrei, sah aus dem Augenwinkel das Monster und spürte, wie ihn etwas an der Hand traf. Das Amulett flog in weitem Bogen davon.
Das hat er also gerade getan, dachte Zamorra. Er hat gesehen, dass ich das Amulett benutzen wollte und darauf reagiert, bevor ich es überhaupt hervorgezogen hatte.
Wie sollte er gegen einen solchen Gegner gewinnen? Der Fremde war ihm immer einen Schritt voraus.
Bevor er sich wieder gesammelt hatte, spürte er einen Stoß. Wilde hatte sich mit aller Kraft gegen ihn geworfen. Zamorra fiel rückwärts um, knallte auf den Boden. Wilde lag auf ihm.
Verzweifelt versuchte Zamorra, sich aufzurichten. Er schlug um sich, traf etwas Weiches und hörte den Mann aufstöhnen. Dann stieß er gegen den Leib des anderen und schaffte es, seinen Gegner von sich runterzurollen.
Zamorra war gerade dabei aufzustehen, als starke Finger ihn um den Hals packten und in die Knie zwangen.
Das ist es, dachte er. Das hat er mir gerade gezeigt.
Und wenn es wirklich die Zukunft war, die der Fremde ihm gerade gezeigt hatte, gab es keine Möglichkeit zu verhindern, was er gesehen hatte. Aber das hatte er auch nicht vor. Alles lief nach Plan. Und er hatte dem Monster gerade so viel Widerstand entgegengebracht, dass es nichts davon merken würde.
Zamorra konnte nur hoffen, dass er mit seiner Vermutung Recht hatte. Dass es kein verhängnisvoller Fehler gewesen war, dass er sich von Wilde in die Falle hatte locken lassen. Dass das Monster gleich eine Überraschung erleben würde…
Das Gesicht des Mannes näherte sich seinem. Der alkoholisierte Atem des anderen schlug Zamorra entgegen, als der Mund des Fremden sich schmatzend öffnete. Tief in der Mundhöhle regte sich etwas Schwarzes, Glitschiges, das mehr an einen Tentakel als an eine Zunge erinnerte.
Als der Mund des Monsters sich auf den seinen presste, spürte Zamorra, wie etwas in ihn eindrang, wie es etwas suchte - und fand.
Obwohl jeder seiner Sinne lautstark dagegen protestierte, versuchte Zamorra, zu ignorieren, was gerade mit ihm geschah. Stattdessen richtete er seine Gedanken auf Merlins Stern, der ein paar Meter entfernt auf dem Fußboden lag. Was Wilde nicht wissen konnte, war, dass Zamorra das Amulett mit einem Gedankenbefehl zu sich rufen konnte - was er gerade tat.
Merlins Stern manifestierte sich in Zamorras ausgestreckter Hand.
Im gleichen Moment ertönte ein Schuss von außerhalb, gefolgt von einem lauten Geräusch, als hätte jemand eine Tür eingetreten.
Und gleichzeitig geschah noch etwas. Zamorra spürte etwas aus sich hinausfließen, etwas, das schon so lange ein Teil von ihm war, dass er sich kaum noch an den Zeitpunkt erinnern konnte, an dem er es in sich aufgenommen hatte.
Aber noch ehe dieses Etwas ihn ganz verlassen hatte, traf es auf einen Widerstand.
Das Monster fing an, sich zu krümmen. Plötzlich stieß es Zamorra von sich weg und rollte sich kreischend auf dem Boden. Zamorra spürte, wie die Kraft des Wassers der Quelle in ihn zurückströmte.
Na also, dachte er. Ich war mir nicht sicher, ob dieser Teil auch wirklich funktionierten würde.
Mit einem Stöhnen raffte er sich auf, das Amulett fest in der Hand.
»Du kannst mir meine Unsterblichkeit nicht nehmen«, keuchte er. »Dein Plan war von Anfang an zum Scheitern verurteilt. Das Wasser der Quelle des Lebens ist kein Werkzeug, das man nach Belieben benutzen kann. Es ist mein Schicksal. Ich habe das Wasser getrunken, weil es meine Bestimmung war. Ich bin ein Aus erwählter.«
Vor ihm lag das Monster auf dem Boden und wälzte sich hin und her. Was auch immer die Essenz des Wassers des Lebens bei ihm angerichtet hatte, es verursachte ihm unerträgliche Schmerzen.
»Du hast dich geirrt«, sprach Zamorra weiter. »Wir sind uns nicht ähnlich. Deine Zeit ist schon lange abgelaufen. Du lebst ein gestohlenes Leben.«
Ein blubberndes, unmenschliches Geräusch ertönte. Nach ein paar Sekunden wurde Zamorra klar, dass es Wilde war, der dieses Geräusch verursachte.
Die gurgelnden, pfeifenden Laute entstanden dadurch, dass das Monster versuchte, mit zerstörter Kehle zu lachen. Langsam stand es auf. Sein Gesicht und sein Hals waren zerstört, wie von Säure zerfressen. Aus seiner Kehle tropfte eine dunkle Flüssigkeit.
»Das war also der Grund, aus dem ich nicht weiter
Weitere Kostenlose Bücher