0761 - Der Angst-Atmer
Silbermond-Druiden, die sich auf der Erde und vielleicht auch auf anderen Welten niedergelassen hatten, wollte Vali nirgendwo anders sein.
Wenn Julian also den Silbermond verließe, wäre Vali allein unter etwa einer Million Sauroiden, mit denen sie sich zwar deutlich besser verstand als er -aber ob sie auf Dauer damit glücklich sein konnte?
Andererseits, dachte Julian, zwang sie doch nichts und niemand, hier zu bleiben, oder? Immerhin war sie auf anderen Welten lebensfähig. Das Leben selbst brachte nun einmal Veränderungen mit sich, mit denen man sich arrangieren musste. Und er konnte sein Leben nicht damit zubringen, Valis Gesellschafter zu spielen. Ihm taten sich ganz andere Wege und Möglichkeiten auf. Er stand schon viel zu lange still, ohne einen weiteren Schritt in sein Leben zu tun.
Dass er mit all diesen Überlegungen letztlich nur nach einer halbwegs akzeptablen Ausrede suchte, seinen eigenen Kopf durchzusetzen und dem ihm angeborenen Egoismus nachzugeben, realisierte der Träumer nicht - weil es ihm auch an der Fähigkeit dazu mangelte…
Ohne es zu wissen, leistete Vali seinem ohnehin schon reifenden Entschluss noch Vorschub, indem sie ihn mit leiser Stimme fragte: »Woran denkst du? Willst du mit mir darüber reden? Vielleicht hilft es dir ja, klarer zu sehen, wenn du aussprichst, was dich bewegt?«
Julian atmete tief durch. »Ich will wissen, was an diesen Gerüchten um LUZIFERS Existenz oder eben Nichtexistenz dran ist. Es interessiert mich einfach.«
Hinter ihm nickte Vali. »Nun gut, ich verstehe das zwar immer noch nicht, aber ich nehme es einfach mal als gegeben hin. Du hast es versucht, indem du dich in die Erinnerungen des ehemaligen Fürsten der Finsternis hineinträumtest. Und das funktioniert offenbar nicht. Was…?«
»Es muss einen Weg geben!«, unterbrach Julian sie. »Ich weiß, dass es einen gibt. Ich muss ihn nur finden. Ich…« Er verstummte, schmälte die Augen und blickte hinaus in die silbrige Nacht, als könnte er dort draußen entdecken, wonach er suchte.
»Ich sehe zwei Möglichkeiten, weshalb es nicht klappt«, fuhr er dann in sinnierendem Tonfall fort. »Vielleicht liegt es wirklich an dieser scheiß Flammenwand, die sich nicht durchdringen lässt, ganz egal, auf welchem Weg man es versucht, ob nun im Traum oder persönlich…«
»Und die andere Möglichkeit?«, wollte Vali wissen, als Julian nicht gleich weitersprach.
»Die andere Möglichkeit«, sagte er, noch immer ohne sie anzuschauen, »könnte darin bestehen, dass ich von hier aus mindestens zwei Barrieren durchstoßen muss, um überhaupt bis zum entscheidenden Punkt vorzudringen - zum einen die Grenze der Traumwelt, in der sich der Silbermond befindet, und zum anderen die Abschirmung um Merlins Burg, in der sich Asmodis zurzeit aufhält. Beide Barrieren stellen zwar keine wirklichen Hindernisse für mich dar, weil die Traumwelt meine eigene ist und Merlins Magie der meinen wenigstens verwandt sein muss. Aber ich könnte mir vorstellen, dass ich beim Überwinden dieser Hürde zu viel von meiner ursprünglichen Stoßkraft verliere, um noch bis ans eigentliche Ziel Vordringen zu können.« Er stockte kurz. »Und natürlich kann es auch eine Rolle spielen, dass sich der Silbermond um fünfzehn Minuten in der Zukunft befindet. Das bedeutet, dass ich mit meinen Versuchen nicht nur magische Hindernisse überwinden muss, sondern auch die Zeit selbst.«
Abermals hielt Julian inne. Nickte versonnen. Und murmelte dann mit einem Lächeln, das auch seinem ex-teuflischen Großvater zu Gesicht gestanden hätte: »Ja, das könnte es sein… Das könnte klappen.«
»Was könnte klappen?«, fragte Vali in einem Tonfall, dem anzuhören war, dass sie die Antwort und die sich daraus ergebende Folge schon erahnte.
»Ich muss es von derselben Ebene aus probieren, auf der Asmodis sich befindet.«
Vali schluckte hart. »Das heißt, du willst…«
»Das heißt, ich muss zur Erde«, fiel Julian ihr ins Wort, drehte sich zu ihr um und blickte sie an.
In seinem Blick las die Silbermond-Druidin Abschied.
Vielleicht für immer.
Zumindest aber für sehr, sehr lange…
***
Schottland, vor ein paar Tagen
Jan van Voss hasste Vögel!
Das jedenfalls erzählte er jedem, der ihn fragte, weshalb er als Erwachsener um Vögel jedweder Größe einen gehörigen Bogen machte und als Kind auch oft mit Steinen nach allem Federvieh geworfen hatte.
Tatsächlich aber verhielt es sich etwas anders. In Wirklichkeit fürchtete Jan van Voss Vögel.
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