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0761 - Der Angst-Atmer

0761 - Der Angst-Atmer

Titel: 0761 - Der Angst-Atmer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Timothy Stahl
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Er fürchtete diese gefiederten Ungeheuer wie die Pest, wie den Tod.
    Und dabei kam es nicht darauf an, ob es sich nun um einen Sperling auf dem Dachfirst handelte oder um einen Bussard, der irgendwo über Wiesen seine Kreise zog und nach Beute spähte. Der bloße Anblick irgendeines Vogels verursachte van Voss Unbehagen. Waren sie zu mehreren, bekam er Herzrasen.
    Und wenn sie, so wie jetzt und hier, überall um ihn waren und aus ihren wie tot wirkenden kleinen Perlaugen feindselig auf ihn herabblickten, mit ruckenden Köpfen, als hieben sie ihm schon ihre Schnäbel in die Haut, um ihm das Fleisch von den Knochen zu picken -dann hatte Jan van Voss Todesangst!
    Ornithophobie nannte man diese Angst vor Vögeln. Er hatte darüber gelesen, aber kaum je davon gesprochen, geschweige denn professionelle Hilfe gesucht. Er wusste auch nicht, woher seine Phobie rührte. Wozu auch? Er mied Vögel eben, so gut er konnte, und damit hatte es sich. Zu Hause in den Niederlanden hielt er sich zudem eine Katze, die dafür sorgte, dass die kleinen Biester seinem Balkon fernblieben. Für die Tauben legte er Gift aus, und mit dem eigens dafür angeschafften Luftgewehr schoss er gelegentlich ein paar Spatzen von den Nachbardächern.
    Aber all diese Vorkehrungen nützten ihm hier herzlich wenig. Jetzt und hier war er ganz auf sich gestellt und mutterseelenallein.
    Dabei, und das war das Merkwürdigste, wusste er nicht einmal, wo dieses Hier war, und ebenso wenig, wie er hergekommen war!
    Er hatte dringend Urlaub nötig gehabt, die letzten Wochen in seinem Job als Unternehmensberater waren mörderisch gewesen und hatten ihn um die halbe Welt geführt. Deshalb hatte er sich für seine Reise ein Nahziel ausgesucht -Schottland.
    Um richtig entspannen zu können, hatte er auf einen Mietwagen verzichtet und stattdessen auf öffentliche Verkehrsmittel zurückgegriffen. Bisweilen hatte er auch Tagesetappen auf Schusters Rappen. So auch gestern, wo er am Abend in…
    Van Voss’ Gedankenkette zerfaserte. Er wusste nicht mehr, wo er gestern Abend eingetroffen war, und aus irgendeinem Grund interessierte es ihn auch gar nicht.
    Was ihn interessierte und was er wusste, war, dass er hier, an diesem Ort, noch nie gewesen war. Und es handelte sich ganz sicher nicht um sein gestriges Ziel.
    Jan van Voss befand sich inmitten eines scheinbar endlosen Waldes, der größtenteils aus Laubbäumen bestand. Die wiederum hatten ihr Blätterkleid verloren. Van Voss registrierte seltsam beiläufig, dass das nicht zur Jahreszeit passte - es war doch Sommer!
    Die Äste der Bäume waren trotzdem nicht leer. Denn wie bizarre Früchte saßen darauf dicht an dicht -Vögel!
    Sie hockten so nah beieinander, dass sie auf den ersten Blick kaum als Vögel erkennbar waren, sondern wie Teile dicker, knotiger Äste wirkten. Hatte man diese optische Täuschung aber erst einmal durchschaut, realisierte man die erschreckende Zahl der Tiere. Es mussten Tausende sein, Abertausende! So weit das Auge reichte, besetzten sie jeden Zweig und Ast eines jeden Baumes des Waldes.
    Es war keine Sonne zu sehen, nur graues Licht erhellte die Umgebung. Das Gespinst und Gewirr des Astwerks nahm sich aus wie Sprünge in der Fläche des bleiernen Himmels.
    Die Stille der Szenerie war gespenstisch. Kein Lüftchen rührte sich, wie erstarrt saßen die Vögel ringsum, und nichts war zu hören, nicht der leiseste Ton. Van Voss vernahm weder sein eigenes Atmen noch das Schlagen seines Herzens, als sei es ihm in der Brust zu Stein geworden vor Schrecken.
    Und er roch auch nichts. Keinen typischen Waldgeruch, nicht den würzigen Duft immer feuchten Erdbodens und welken Laubes, keine Pflanzengerüche, überhaupt nichts.
    Außerdem schien es weder kalt noch warm zu sein. Van Voss spürte keine Temperatur, kam sich auch in dieser Hinsicht vor wie in einem Vakuum gefangen. Dennoch fror er von innen heraus. Als gefriere ihm buchstäblich das Blut in den Adern.
    In seinem Kopf gab es doch nur Platz für eine Frage: Was jetzt?
    Was sollte er tun, was nur?
    Einfach hier stehen bleiben, sich so wenig rühren wie die Heerscharen von Vögeln um ihn herum und hoffen, dass es nur ein furchtbarer Traum war, der so unvermittelt enden würde, wie er begonnen hatte?
    Vielleicht wäre das die vernünftigste Reaktion gewesen, aber Jan van Voss sah sich außerstande dazu. Nicht zuletzt auch deshalb, weil Vernunft etwas war, auf das er dieser Lage keinen Zugriff hatte.
    Er drehte sich ganz langsam im Kreis. Sein flackernder

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