Peter Walsh - Gesamtausgabe Teil 1 - 4 zum Sonderpreis, Thriller (German Edition)

Kapitel 2
     
    Melanie war fassungslos und völlig außer sich vor Ratlosigkeit und Verzweiflung. Ihre Augen waren rot  gefärbt, schon seit Stunden weinte sie, fand einfach keine Ruhe. Sie spielte die Momente wieder und wieder durch, aber es gelang ihr nicht, eine Antwort auf die wichtigste aller Fragen zu finden:
    Wie?
    Wie konnte es geschehen? Dabei sollte es doch so ein schöner Tag werden. Ihre Tochter Nina hatte gestern Geburtstag und Melanie hatte ihr versprochen, am Samstag mit ihr Shoppen zu gehen. Noch am Freitag hatten sie alle glücklich beisammen gesessen und bei ihren Eltern, Ninas Großeltern, den Geburtstag gemeinsam mit Ninas Freundinnen gefeiert. Es war eine sehr lustige und schöne Geburtstagsparty. Mit allem, was dazu gehörte. Melanies Eltern hatten die Party gesponsert. Sie waren vernarrt in ihr Enkelkind. Die Großeltern Karl und Maria besaßen ein Haus im Kölner Stadtteil Porz mit einem schönen Garten, ideal für Kinder und  die Feier von Kindergeburtstagen.
    Der Garten wurde geschmückt und eine Kinderhüpfburg sowie ein Clown  organisiert. Nina hatte sechs Freundinnen inklusive deren Eltern eingeladen. Der Clown “zauberte“ Ballontiere und alberte den ganzen Tag mit den Kindern herum. Melanie war über eine Kleinanzeige in der kostenlosen Wochenzeitung auf den Clown gestoßen. Sein Deutsch war zwar nicht so gut, aber er verstand es wunderbar, den Kindern große Augen zu machen und sie zum Staunen zu bringen.
    Und nur einen Tag später war die Freude verschwunden und tiefste Trauer war in das Haus der Vogels eingezogen. Maria versuchte, Melanie so gut es ging zu beruhigen. Sie mussten jetzt einen klaren Kopf bewahren.  Zwar kämpfte sie auch mit Tränen und lähmender Ohnmacht, musste für ihre Tochter jedoch stark sein und durfte die Hoffnung nicht aufgeben. Die Polizei würde alles in ihrer Macht stehende tun, um Nina zu finden. Aber die Gedanken daran, was ihr Enkelkind in dieser Zeit vielleicht durchmachen müsste, quälten Maria.
    „Komm, Kind. Ich mach uns einen Tee“, flüsterte Maria Melanie liebevoll zu und umarmte sie. Dabei griff sie nach ihrer Hand und half Melanie, die völlig neben sich stand, auf die wackligen Beine. Melanie wehrte sich nicht, sondern ging mit ihrer Mutter die Treppe hinunter ins Wohnzimmer. Melanie hatte sich bereits über Stunden in ihrem Zimmer verkrochen gehabt. Obwohl sie bereits seit Jahren eine eigene Wohnung hatte und auf eigenen Beinen stand, hatten ihre Eltern ihr Zimmer   nie ausgeräumt und alles so belassen wie früher. Und wenn Melanie über Nacht blieb, was selten der Fall war, schlief sie in ihrem Zimmer. Auch Nina schlief dort, wenn Melanie sie bei ihren Großeltern abgab, um sich abends mit Freunden zu treffen. Melanie war für die Unterstützung ihrer Eltern sehr dankbar. Das half ihr ungemein bei der Bewältigung von Job und Kind. Als alleinerziehende Mutter ist man  für jede Unterstützung dankbar, und wenn diese dann auch noch von den eigenen Eltern kommt, umso besser. Melanie wollte ihr Kind nicht in einen Kinderhort geben  während sie arbeitete,  daher kümmerten sich ihre Eltern währenddessen liebevoll um ihr Enkelkind.
     
    Im August  sollte  Nina eingeschult  werden. Und jetzt? Jetzt konnten auch ihre Eltern nur machtlos zusehen, wie ihrer Tochter und der gesamten Familie Vogel der Boden unter den Füßen weggezogen wurde, ohne Vorwarnung und mit einer Brutalität, die kein Mensch je erleben sollte.
    Was wohl Nina in diesem Augenblick durchmachte? Unten angekommen, bereitete Karl gerade einen Kräutertee zu, der für seine beruhigende Wirkung bekannt ist. Maria und Melanie saßen auf der cremefarbenen Couch im Wohnzimmer.  Dieses war ein großer Raum, sehr modern und komplett in Weiß gehalten. Der Stil zeugte davon, dass Melanies Eltern lange Zeit erfolgreich selbstständig gewesen waren. Vor zehn Jahren verkauften sie dann ihre Firma und hatten beschlossen, seitdem gemeinnützig tätig zu sein und, wenn die Zeit es zuließ, die Welt gemeinsam mit der Familie zu bereisen. Sie hatten nach wie vor die Hoffnung, dass Melanie einen tollen Partner finden würde, der sich um Nina und sie kümmert. Aber außer ein paar Affären hatte Melanie seit Ninas Geburt keinen festen Partner gehabt. Für ihre Eltern war das unerklärlich. Melanie war hübsch, intelligent und ihr Herz war am rechten Fleck. Sie konnte sehr direkt und dickköpfig sein, aber welcher Mensch konnte nicht so sein, wenn die Emotionen mit ihm