0770 - Kind der Finsternis
zweifellos mit Hilfe einer anderen Werbeagentur…
In Nakula Kumars Büro angekommen, pfefferte Asha Devi den Werber in seinen Ledersessel. Er rang nach Luft und lockerte seinen Schlips. Asha Devi verschloss die Tür von innen.
»Spinnst du?«, krächzte er. »Du hast mich gerade um den besten Auftrag meines Lebens gebracht!«
»Dieser Quatsch interessiert mich nicht. Glaubst du, ich hätte es vor Sehnsucht nach deinen Prinzenaugen nicht mehr ausgehalten? Zwischen uns ist es schon längst vorbei, das ist mir vollkommen klar.«
»Wie schön!«, ächzte Nakula Kumar. »Und warum rückst du dann heute deinem verflossenen Liebhaber auf die Bude und ruinierst hier alles?«
»Weil wir ein Kind miteinander haben, du Schwachkopf!«
»Ein Kind?« Nakula Kumar kniff die Augen zusammen.
»Wir?«
»Spreche ich vielleicht nicht Hindi? Du hast das Kind gezeugt, und ich habe es ausgetragen! Oder hast du im Biologie-Unterricht nicht aufgepasst?«
Asha Devi wusste nicht, ob sie von ihrem ehemaligen Lover auf diese Frage eine Antwort erwarten sollte. Jedenfalls hielt er einige Minuten lang den Mund, was einem Windbeutel wie ihm schwer fiel. Aber dann öffneten sich seine Lippen doch wieder.
»Willst du… soll ich dich heiraten?«
»Bist du bescheuert? Ich heirate nicht! Niemals!«
»Gut.« Nakula Kumar gab sich keine Mühe, seine Erleichterung zu verbergen. »Willst du Geld?«
»Dein Geld kannst du behalten! Ich brauche nichts!«
Der Werber schien verwirrt.
»Weshalb bist du dann überhaupt gekommen?«
»Ganz einfach. Ich will wissen, wo sich unser Kind befindet!«
»Ist es denn nicht bei dir?«
»Nein, ist es nicht! Ich habe keine Ahnung, wo es sein könnte! Aber du bist der Vater! Du musst es wissen!«
Daraufhin warf Nakula Kumar Asha Devi einen seltsamen Blick zu. Es war, als wollte er etwas sagen. Aber dann überlegte er es sich doch noch anders.
»Ich rate dir, mich nicht zu lange auf die Folter zu spannen«, knurrte die Inspektorin. »Du weißt, dass ich sehr böse werden kann!«
»Ich weiß nicht, wo das Kind ist! Ich schwöre bei allem, was mir heilig ist!«
»Du schwörst bei deinem Schweizer Bankkonto? Na gut, dann werde ich es eben aus dir rausprügeln!«
Die Inspektorin packte ihn mit links am Kragen und ballte die rechte Faust. Wieder einmal fragte sich Nakula Kumar, wie er sich überhaupt jemals mit dieser Furie hatte einlassen können.
Gewiss, Asha Devi war eine schöne Frau. Aber es gab auch noch andere schöne Frauen in New Delhi. Vor allem waren die meisten von ihnen sanftmütig und anmutig, wie es traditionell von Inderinnen erwartet wurde. Und beides traf auf Asha Devi nun überhaupt nicht zu…
Bevor sie ihn schlagen konnte, schüttelte Nakula Kumar abwehrend den Kopf. Er wollte sich sein schönes Gesicht nicht durch Ashas Fäuste ruinieren lassen.
Also würde er ihr lieber seine größte Schande offenbaren…
»Du brauchst mich nicht zu vermöbeln«, sagte der Werber mit tonloser Stimme. »Das Kind ist nicht von mir.«
»Von wem denn sonst?«, keifte Asha. »Glaubst du, ich weiß nicht mehr, wann ich mit wem ins Bett gegangen bin?«
»Das schon. Aber du kannst gar nicht von mir schwanger geworden sein, weil… weil…«
»Da bin ich ja mal gespannt!«, knurrte die Inspektorin.
»Weil ich zeugungsunfähig bin!«, platzte Nakula Kumar heraus. Nach diesem Geständnis suchte er in der untersten Schublade seines Schreibtischs nach einer Flasche französischen Cognacs.
»Gib mir auch einen!«, sagte Asha. Ihr Ex-Liebhaber schob ihr die Flasche und einen Cognacschwenker hinüber. Asha goss sich gleich drei Fingerbreit ein.
»Mir wollte schon mal eine Frau einen Sohn anhängen«, erklärte Nakula Kumar mit tonloser Stimme. »Das unterstelle ich dir natürlich nicht, Asha«, fuhr er schnell fort. »Tatsache ist jedenfalls, dass ich mich damals habe untersuchen lassen. Der Befund war eindeutig. Ich kann keine Kinder zeugen. Niemals.«
Die Inspektorin ließ sich noch die Anschrift von Nakula Kumars Arzt geben. Aber sie hatte allen Grund, ihm zu glauben. Es gab für einen indischen Mann keine größere Schande, als keinen Sohn zeugen zu können. Töchter zählten nicht, das wusste Asha aus eigener Erfahrung.
Kein Wunder, dass ihr Ex-Liebhaber so geldgierig war.
Reichtum war das Einzige, womit Kumar seine Unfähigkeit halbwegs ausgleichen konnte.
Asha Devi trank den Cognac auf Ex. Der Alkohol brannte in ihrer Kehle. Die Geschichte ihrer Schwangerschaft wurde immer mysteriöser. Wenn sie
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