0770 - Kind der Finsternis
Es waren Titanen. Zamorra konnte sich gut vorstellen, dass diese Giganten zu furchtbaren Vernichtungen in der Lage waren. »Aber wieso können die Dämonenheere Indien jetzt überrennen, wenn sie bisher nicht dazu in der Lage gewesen sind?«, hakte Zamorra nach.
»Sie können dann die Macht im Land ergreifen, wenn Vasu nicht seine Kräfte entfalten kann. Vasu ist zwar noch klein, aber er ist eine Art lebender Ausgleich, um die Kräfte von Gut und Böse im Gleichklang zu halten. Wenn die Dämonen ihn weiterhin gefangen halten, verkümmern seine Fähigkeiten. Und dann wird das Böse übermächtig.« Zamorra dachte über die Worte des Gottes nach.
Indien war nicht nur ein Land mit einer uralten Kultur, sondern auch Heimat für inzwischen über eine Milliarde Menschen. Außerdem besaß der fernöstliche Staat Atomwaffen und neuerdings sogar ein Raumfahrtprogramm. Wenn in einem solchen Land die Mächte der Finsternis die Kontrolle übernahmen, waren die Folgen für die gesamte Menschheit unabsehbar.
»Vasu wird also momentan von den Dämonen gefangen gehalten?«
»So ist es, Nicole Duval.«
»Und wo, o Shiva?«
»Das darf ich euch leider nicht verraten. Es würde gegen die Gesetze der kosmischen Harmonie verstoßen, denen auch ich mich als Gott unterwerfen muss.«
Nicole zog missbilligend die Augenbrauen zusammen.
»Also sollen wir als Menschen, die wir über viel weniger Fähigkeiten als die Götter verfügen, diesen Vasu aus seiner Gefangenschaft befreien? Der an einem Ort eingekerkert ist, der sich buchstäblich überall im Kosmos befinden kann? Auf jeder möglichen Zeitebene und in einer beliebigen von allen denkbaren Welten?«
Shiva senkte bedauernd das Haupt seines Trugbildes.
»Direkte Hinweise kann ich euch nicht geben, das stimmt. Aber wenn ihr ein paar Einzelheiten mehr wisst, dann bin ich sicher, dass ihr Vasu finden und befreien werdet.«
»Da bin ich ja mal gespannt!« Nicole Duval verschränkte die Arme vor den Brüsten. Sie schätzte solche Ratespielchen überhaupt nicht. Schon Merlin hatte sich in letzter Zeit durch schwammige Andeutungen und scheinbar sinnloses Gerede bei ihr unbeliebt gemacht.
Auch Zamorra war nicht gerade begeistert. Er ließ die Inkarnation nicht aus den Augen, als diese nun wieder zu sprechen begann.
»Es besteht ein starkes inneres Band zwischen Vasu und dir, Zamorra, weil du sein Künder bist.«
»Sein Künder! Unter diesem Begriff kann ich mir in dem Zusammenhang überhaupt nichts vorstellen.« Shiva lächelte.
»Nennen wir es eine Art väterlichen Freund. Du bist ein Mensch, dem die Geheimnisse des Kosmos nicht fremd sind und der eindeutig auf der Seite des Guten steht. Vasu verfügt zwar über enorme Fähigkeiten, aber er ist noch sehr jung. Er braucht dann und wann einen Mentor. So wie du als Mentor den weisen Merlin hast, Zamorra.«
Der Dämonenjäger verzog das Gesicht. Sein Verhältnis zu Merlin war in letzter Zeit nicht das Beste. Es war ein unglücklicher Vergleich, den Shiva da gewählt hatte. Dennoch gab es für Zamorra keinen Zweifel, dass er dem Kind helfen würde. Es war einfach nicht seine Art, den Dämonen das Feld zu überlassen. Eine Frage drängte sich für ihn aber trotzdem auf.
»Was ist mit dem Vater des Kindes?«
»Das Wort Erzeuger wäre passender, Zamorra. Es ist ihm leider nicht gegeben, in deiner Welt auf die Frucht seiner Leidenschaft Acht zu geben.«
»Wieso nicht?«
»Vasu ist das, was ihr einen Halbgott nennen würdet. Sein Vater ist Gandharva, der Gott des Schönen, des Tanzes und der Musik. Er wandelt nur selten auf Erden. Auf jeden Fall ist er nicht geeignet, ein Kind zu erziehen.« Shiva machte eine Pause. »Und wer ist Vasus Mutter, wenn sein Vater dieser Gott Gandharva ist?«, fragte Nicole, obwohl sie die Antwort schon ahnte.
Shiva lächelte. Seine Erwiderung entsprach den Erwartungen von Nicole und auch von Zamorra.
»Vasus Mutter ist Police Inspector Asha Devi.«
»O nein!«, stöhnten die beiden Dämonenjäger wie aus einem Mund.
***
Werbeagentur ASIA MARKETS, New Delhi, Indien
Der wichtigste Tag im Leben von Nakula Kumar begann erfreulich.
Der Inhaber einer der bedeutendsten indischen Werbeagenturen traf pünktlich in seinem Büro ein. Er hatte seine Vorzimmerdame dazu verdonnert, an diesem Tag einen Sari zu tragen.
Er selbst betrat in seinem besten Anzug den Ort seiner Wirkungsstätte.
Nakula Kumar war ein schöner Mann. Sein langes, natürlich gewelltes dunkles Haar wallte bis auf die Schultern. Seine schwarzen
Weitere Kostenlose Bücher