079 - Im Würgegriff des Nachtmahres
Tisch.
Er glaubte, in eine fremde Umgebung geraten zu sein.
War er hier wirklich zu Hause?
Panikartig überrollte ihn die Flut der Angst. Sein Hirn begann
förmlich zu fiebern, sein Körper dampfte.
Lucelion erreichte den Höhepunkt seines Leidens.
Die Wände schienen auf ihn zuzukommen, die Luft wurde ihm knapp,
und er mußte den obersten Kragenknopf öffnen, um noch atmen zu können.
„Monette . . ." wisperte Lucelion, während er in höchster
Aufregung in das angrenzende Zimmer hetzte, „ich muß Monette anrufen . .
."
Das kleine Wohnzimmer lag mit dem Fenster zur Straße. Die Vorhänge
waren zugezogen, und die Laterne am Ende der Straße spendete nur geringfügigen
Schein, der nicht ausreichte, um durch den dichtgewebten Stoff zu schimmern.
Lucelion riß den Vorhang zurück.
Matt und kraftlos kroch das ferne, streuende Laternenlicht in den
Raum.
Aber der Himmel war aufgerissen. Kalt und silbern fiel das
Mondlicht durch die verschmiert Scheibe, bildete einen breiten, grauweißen
Fleck, der quer über den abgenutzten Teppichboden, einen verschlissenen Sessel
und das in der Ecke stehende Bett fiel. Darauf lag ein prallgefülltes
Federbett, mit einem großen, rotgrünkarierten Bezug überzogen.
Lucelion wandte sich dem kleinen Tisch zu, auf dem das Telefon
stand. Mit fahrigen Bewegungen drehte er die Wählscheibe.
„Turbigo 88167", murmelte er. Dann erschrak er. „Oder
88176?" fragte er sich.
Er drückte auf die Gabel. In der Aufregung fiel ihm nicht die
richtige Nummer ein.
Die Zeit drängte.
„Laß mich ihn antreffen", flüsterte er erregt, „mach, daß es
die richtige Nummer ist", entrann es seinen Lippen, und er sprach zu einem
imaginären Wesen.
Lucelion wußte, daß er es sich nicht leisten konnte, die Nummer
Monettes aus dem Telefonbuch herauszusuchen.
Er wählte auf gut Glück.
Es schien eine Ewigkeit zu dauern, ehe das erste Klingelzeichen am
anderen Ende der Strippe zu hören war.
Das zweite Mal.
Lucelion stand wie auf heißen Kohlen. Er trat von einem Bein aufs
andere.
Seine Augen glühten wie Kohlen in seinem totenblassen,
angespannten Gesicht. Ein leises Wimmern und Stöhnen kam aus seiner Kehle, ohne
daß es ihm bewußt wurde.
Mit zitternden Fingern wischte er sich über seine schweißnasse
Stirn.
„Doktor Monette", meldete sich da die Stimme am
Empfängerapparat.
„Doktor Monette! Gut, daß ich Sie erreiche." Lucelion konnte
vor Aufregung kaum sprechen. Seine Stimme war zu einem heiseren Krächzen
herabgesunken. „Ich bins, Lucelion ... "
„Lucelion?" fragte Monettes Stimme erstaunt. „Aber Monsieur
Lucelion! Was veranlaßt Sie, mich zu dieser Stunde anzurufen? Wissen Sie, wie
spät es ist? Kurz nach halb eins."
„Ich habe Ihnen versprochen, mich zu melden, wenn er mir auf den
Fersen ist. Ich habe die Begegnung provoziert, Doktor, vorhin in der Rue du
Surmelin. Seitdem verfolgt er mich, bis hierher in die Rue de Paradis. Der
Nachtmahr, Doktor!" Lucelion sprach aufgeregt und schnell, als müsse er
sich beeilen, noch alles loszuwerden, was ihm auf der Seele brannte. „Kommen
Sie schnell, Doktor! Er ist im Haus. Er muß jeden Augenblick hier
reinkommen."
„Aber Lucelion!" Obwohl Monette über die nächtliche Störung
verärgert war, ließ er sich nichts anmerken. Lucelion war ein Fall. Der Mann
war nicht normal. „Sie können sich doch ganz einfach schützen! Verschließen Sie
die Tür. Dann muß er draußen bleiben."
„Haben Sie denn ganz vergessen, was ich Ihnen gesagt habe?"
Die Stimme Lucelions klang weinerlich. Der Mann war am Ende seiner Kraft. „Er
kann durch Wände und verschlossene Türen kommen. Er ist körperlos — und doch
stofflich."
„Ah, richtig. Das hatte ich vergessen. Entschuldigen Sie."
„Halten Sie Ihr Versprechen, lassen Sie mich jetzt nicht im Stich!
Ich habe nie eine Zwangspsychose gehabt, Doktor! Ich bin zu Ihnen gekommen,
weil ich hoffte, krank zu sein. Aber was ich durchmache, ist schlimmer als eine
seelische Krise, oder wie Sie das auch immer nennen mögen. Ich erlebe die
Wirklichkeit, ich werde verfolgt. Ich habe den Nachtmahr beobachtet, und er hat
mich bemerkt. Bitte kommen Sie, wie Sie sind, warten Sie keine Minute länger!
Vielleicht kann ich ihn hinhalten", flüsterte er kaum hörbar, als
fürchtete er, von jemandem belauscht zu werden. „Sobald er hier auftaucht,
springe ich aus dem Fenster. Ich fliehe über das Dach, verstecke mich hinter
den Schornsteinen. Das geht alles zu machen.. Ich habe das schon in
Kriminalfilmen
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