08-Die Abschussliste
die Feiertage daheim. Sie haben dort ein Haus.«
Ich notierte mir ihre Adresse auf dem Notizzettel, auf den ich den Namen Joe geschrieben und doppelt unterstrichen hatte.
»Irgendwer bei ihr?«, erkundigte ich mich.
»Sie haben keine Kinder. Also ist sie vermutlich allein.«
»Okay.«
»Sie weiß noch nichts«, sagte Garber. »War gar nicht einfach, sie dort aufzuspüren.«
»Soll ich einen Geistlichen mitnehmen?«
»Er ist nicht im Kampf gefallen. Sie sollten eine Kollegin mitnehmen, denke ich. Vielleicht braucht Mrs. Kramer jemanden, an den sie sich klammern kann.«
»Okay.«
»Natürlich ersparen Sie ihr die näheren Umstände. Er war nach Irwin unterwegs, sonst nichts. Ist bei einem Zwischenstopp im Hotel abgekratzt. Das muss die offizielle Version sein. Außer uns beiden weiß niemand, dass es anders war, und dabei muss es bleiben. Allerdings sollten Sie Ihre Kollegin vorsichtshalber einweihen. Falls Mrs. Kramer Fragen stellt, müssen Sie und Ihre Begleiterin auf demselben Stand sein. Was ist mit den dortigen Cops? Halten die dicht?«
»Der Mann, mit dem ich gesprochen habe, war ein ehemaliger Marineinfanterist. Er weiß, was Sache ist.«
»Semper fidelis«, bemerkte Garber.
»Den Aktenkoffer habe ich noch nicht gefunden«, sagte ich.
»Kümmern Sie sich erst um die Witwe«, erwiderte Garber. »Dann suchen Sie weiter.«
Ich wies den Korporal von der Tagschicht an, Kramers persönliches Eigentum in meine Unterkunft zu schaffen. Ich wollte, dass es sicher aufbewahrt wurde. Die Witwe würde es irgendwann verlangen. Auf einem so großen Stützpunkt wie Fort Bird können Dinge verschwinden. Anschließend ging ich in den O Club und sah mich nach Militärpolizisten um, die spät frühstückten oder früh zu Mittag aßen. Sie hocken meist in irgendeiner Ecke zusammen, weil alle anderen sie hassen. Ich fand eine Vierergruppe, zwei Männer und zwei Frauen. Alle trugen den auf Stützpunkten üblichen Kampfanzug in Tarnfarben. Eine der Frauen im Rang eines Hauptmanns, hatte den rechten Arm in einer Schlinge. Damit fiel ihr das Essen schwer und wohl auch das Fahren. Die zweite Frau, ich schätzte sie auf Mitte zwanzig,
trug Leutnantsbalken am Kragen und ein Namensschild, auf dem Summer stand. Sie war klein und schlank. Ihr Teint hatte die gleiche Farbe wie der Mahagonitisch, an dem sie saß.
»Leutnant Summer«, sagte ich.
»Sir?«
»Gutes neues Jahr.«
»Sir, gleichfalls.«
»Sind Sie heute beschäftigt?«
»Sir, allgemeine Aufgaben.«
»Okay, in dreißig Minuten im Dienstanzug vor dem Stabsgebäude. Ich brauche Sie, damit Sie eine Witwe trösten.«
Ich schlüpfte ebenfalls wieder in meinen Dienstanzug und forderte von der Fahrbereitschaft eine Limousine an. Ich hatte keine Lust, mit einem Humvee bis nach Virginia zu fahren. Zu laut, zu unbequem. Ein Gefreiter brachte mir einen neuen, olivgrünen Chevrolet. Ich unterschrieb dafür, fuhr zum Stabsgebäude und wartete.
Leutnant Summer kam anderthalb Minuten vor Ablauf ihrer dreißig Minuten aus dem Gebäude. Sie blieb kurz stehen, bevor sie auf den Wagen zuging. Das sah gut aus. Sie war ziemlich klein, bewegte sich anmutig und wirkte wie ein auf Miniformat geschrumpftes ein Meter achtzig großes Model. Ich stieg aus und ließ die Fahrertür offen. Kam ihr auf dem Gehsteig entgegen. Summer trug ein Scharfschützenabzeichen, an dem Spangen für Gewehr, KK-Gewehr, Sturmgewehr, Pistole, KK-Pistole, Maschinengewehr und Maschinenpistole hingen. Sie bildeten eine ungefähr fünf Zentimeter lange Leiter. Länger als meine. Ich hatte nur Gewehr und Pistole. Sie baute sich vor mir auf, nahm Haltung an und grüßte zackig.
»Sir, Leutnant Summer meldet sich zur Stelle«, sagte sie.
»Schon gut«, entgegnete ich. »Lassen Sie den ›Sir‹ weg, okay? Nennen Sie mich Reacher oder gar nichts. Und keine Grüßerei mehr. Die mag ich nicht.«
Sie überlegte, entspannte sich.
»Okay«, sagte sie.
Ich öffnete die Beifahrertür und stieg ein.
»Ich fahre?«, fragte sie.
»Ich war die ganze Nacht auf den Beinen.«
»Wer ist gestorben?«
»General Kramer«, antwortete ich. »Großer Panzergeneral in Europa.«
»Was hat er dann hier gemacht? Bei uns gibt’s nur Infanterie.«
»Auf der Durchreise«, sagte ich.
Sie stieg auf der Fahrerseite ein und schob den Sitz ganz nach vorn. Stellte sich die Spiegel ein. Ich fuhr den Beifahrersitz ganz zurück und machte es mir so bequem wie möglich.
»Wohin?«, fragte sie.
»Green Valley, Virginia«, gab ich zur
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