08-Die Abschussliste
einen Abfallbehälter, der wie ein geparktes Auto auf dem Asphalt stand. Auch er enthielt keinen Aktenkoffer.
Als Nächstes suchte ich das Schnellrestaurant auf. Es war noch immer leer. Ich kontrollierte den Fußboden unter den Tischen und Sitzbänken in den Nischen. Ich inspizierte den Boden hinter der Kasse. Dort stand ein Karton, der einige vergessene Regenschirme, aber keinen Aktenkoffer enthielt. Ich warf einen Blick in die Damentoilette. Dort drinnen war niemand. Auch kein Aktenkoffer.
Ich sah auf meine Uhr und ging zurück zu dem Striplokal. Dort würde ich einige Leute befragen müssen. Aber die Bar hatte frühestens in acht Stunden wieder geöffnet. Ich drehte mich um und sah zum Motel auf der gegenüberliegenden Straßenseite. Der Empfang war noch immer unbesetzt. Also machte ich mich auf den Weg zu meinem Humvee und erreichte es gerade rechtzeitig, um den Funkcode 10-17, Rückkehr zum Stützpunkt, zu hören. Ich bestätigte ihn, ließ den Dieselmotor an und fuhr nach Fort Bird zurück. Auf den leeren Straßen schaffte ich die Strecke in nicht mal einer Dreiviertelstunde. Auf dem Parkplatz der Fahrbereitschaft sah ich Kramers Leihwagen stehen. Am Schreibtisch in meinem Vorzimmer saß jetzt ein Korporal. Ein kleiner schwarzhaariger Mann, der aussah, als stammte er aus Louisiana. Er hatte bestimmt französisches Blut in den Adern. Mit französischem Blut kenne ich mich aus.
»Ihr Bruder hat noch mal angerufen«, sagte er.
»Weshalb?«
»Keine Nachricht.«
»Wozu war der 10-17 gut?«
»Oberst Garber verlangt einen 10-19.«
Ich lächelte. Man konnte sein ganzes Leben lang nur solche Zehnercodes verwenden. Manchmal kam es mir so vor, als hätte ich das schon getan. Der Code 10-19 bedeutete eine Verbindungsaufnahme per Funk oder Telefon. Harmloser als ein 10-16, der eine abhörsichere Verbindung erfordert hätte. Oberst Garber verlangt einen 10-19 bedeutete: Oberst Garber möchte, dass Sie ihn anrufen. Das war alles. Manche MP-Einheiten fingen schon wieder an, Englisch zu sprechen, aber diese gehörte offenbar nicht dazu.
Ich betrat mein Dienstzimmer und sah Kramers Kleidersack an eine Wand gelehnt. Daneben stand ein Pappkarton mit seinen Schuhen, seiner Unterwäsche und seiner Dienstmütze. Seine Uniform hing weiter auf drei Kleiderbügeln an meiner Garderobe. Ich ging zu meinem geliehenen Schreibtisch und wählte Garbers Nummer. Horchte auf das Summen des Wähltons und fragte mich, weshalb mein Bruder angerufen haben mochte. Fragte mich, wie er mich hier aufgespürt hatte. Vor sechzig Stunden hielt ich mich noch in Panama auf. Davor war ich ständig unterwegs gewesen. Also hatte er sich wirklich Mühe gegeben, mich zu finden. Vielleicht war die Sache also wichtig. Ich griff nach einem Bleistift und schrieb Joe auf einen Notizzettel. Dann unterstrich ich den Namen zweimal.
»Ja?«, sagte Leon Garber an meinem Ohr.
»Reacher«, meldete ich mich. Ich sah auf die Wanduhr. Sie zeigte kurz nach neun Uhr an. Kramers Maschine nach Los Angeles befand sich bereits in der Luft.
»Es war ein Herzinfarkt«, sagte Garber. »Ganz außer Zweifel.«
»Das Walter Reed hat schnell gearbeitet.«
»Er war ein General.«
»Aber ein General mit schwachem Herzen.«
»Tatsächlich waren’s die Arterien. Schwere Arteriosklerose hat zu tödlichem Kammerflimmern geführt. So steht’s im Autopsiebericht. Und das glaube ich. Wahrscheinlich hat es eingesetzt, als die Nutte ihren BH auszog.«
»Er hatte kein Herzmittel bei sich.«
»Vermutlich wusste er nichts davon. Solche Dinge kommen vor. Man fühlt sich wohl, dann fühlt man sich tot. Jedenfalls kann man das nicht vortäuschen. Kammerflimmern ließe sich mit einem Elektroschock simulieren, glaube ich, aber der Kalk, der sich in vierzig Jahren in den Arterien angesammelt hat, nicht.«
»Haben Sie befürchtet, sein Herztod könnte vorgetäuscht sein?«
»Der KGB hätte die Finger im Spiel haben können«, erklärte Garber. »Kramer und seine Panzer sind das größte taktische Einzelproblem, das die Rote Armee hat.«
»Im Augenblick ist die Rote Armee in Gegenrichtung orientiert.«
»Ob das so bleibt, lässt sich noch nicht abschätzen.«
Garber machte eine Pause.
»Ich darf keinen anderen an diese Sache ranlassen«, sagte er dann. »Vorläufig noch nicht. Wegen der Umstände. Das ist Ihnen doch klar, oder?«
»Also?«
»Also müssen Sie die Sache mit der Witwe übernehmen«, sagte Garber.
»Ich? Ist sie denn nicht in Deutschland?«
»Nein, in Virginia. Über
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