08 - Tod Auf Dem Pilgerschiff
schaute, senkte er wie ein schuldbewußtes Kind den Blick.
»Wir haben dich weder an Deck noch bei den Mahlzeiten gesehen«, begann sie und setzte sich neben ihm auf die Koje. »Bist du noch seekrank?«
Bruder Guss schaute sie mißtrauisch an. »Ich war krank – seekrank. Wer bist du?«
»Ich heiße Fidelma. Fidelma von Cashel.«
»Bruder Tola hat von dir gesprochen. Ich war krank«, wiederholte er.
»Das habe ich gehört. Aber jetzt geht es dir besser?«
Er antwortete nicht.
»Die See ist jetzt viel ruhiger, und es ist nicht gut, sich so lange in der Kajüte einzuschließen. Du mußt an Deck gehen und frische Luft schöpfen. Ich habe dich nicht einmal an Deck gesehen, als alle nach oben beordert wurden.«
»Ich dachte nicht, daß die Anordnung auch für mich galt.«
»Wußtest du nichts von den Gefahren?«
Der junge Mann antwortete nicht und sah sie weiter argwöhnisch an.
»Guss ist ein ungewöhnlicher Name«, begann Fidelma von neuem. »Es ist ein sehr alter Name, nicht wahr?« Am besten lockte man ihn aus seiner Defensive heraus, indem man ihn zum Reden brachte.
Der junge Mann neigte leicht den Kopf.
»Er bedeutet, wenn ich mich richtig erinnere, Kraft oder Wildheit. Vermutlich nennen dich die Leute Gusán?« fügte sie hinzu und benutzte die Verkleinerungsform. Die Anspielung auf seine Jugend sollte ihn reizen.
Tatsächlich reagierte er mit einem finsteren Blick.
»Ich heiße Guss«, erwiderte er verärgert.
»Und du kommst aus der Abtei Moville?«
»Ich studiere in der Abtei«, bestätigte er. Er war wohl kaum mehr als zwanzig Jahre alt.
»Was studierst du?«
»Ich studiere die Sternkunde unter dem Ehrwürdigen Cummian und helfe bei der Aufzeichnung der Himmelserscheinungen.« Trotz seiner kläglichen Haltung klang Stolz aus seiner Stimme.
»Cummian? Der lebt also noch?« fragte Fidelma verwundert.
Der junge Mann runzelte die Stirn.
»Kennst du den Ehrwürdigen Cummian?«
»Ich kenne sein hohes Ansehen. Er studierte bei Mo Sinu maccu Min, dem großen Abt von Bangor, und er hat viele Bücher über astronomische Berechnungen geschrieben. Er muß aber schon sehr alt sein. Du bist Student bei ihm?«
»Einer seiner Studenten«, ergänzte Guss stolz. »Doch ich habe schon den fünften Grad der Weisheit erreicht.«
»Ausgezeichnet. Es ist gut zu wissen, daß wir jemanden an Bord haben, der die Gestirne kennt und uns den Weg zurück über dieses stürmische Meer berechnen kann.«
So ermutigte ihn Fidelma, lockte ihn aus der Reserve und bemühte sich, seine anfangs feindselige Reaktion auf ihr Eindringen abzubauen. Sie bemerkte, daß er immer wieder mit der rechten Hand den linken Arm massierte. Auf dem Ärmel war ein dunkler Fleck.
»Du hast dich anscheinend am Arm verletzt«, meinte sie voller Mitgefühl. »Ist es eine Schnittwunde? Soll ich sie mir mal ansehen?«
Er errötete und machte ein finsteres Gesicht. »Nur ein Kratzer, weiter nichts.« Dann verfiel er in Schweigen.
Fidelma fragte weiter. »Weshalb bist du auf diese Pilgerfahrt gegangen, Bruder Guss?«
»Wegen Cummian.«
»Das verstehe ich nicht. Hat Cummian dir gesagt, du sollst auf diese Fahrt gehen?«
»Cummian hat einmal eine Pilgerfahrt zum Schrein des heiligen Jakobus unternommen und mir geraten, ich sollte für meine Ausbildung diese Fahrt auch machen.«
»Um fremde Länder zu sehen?« vermutete Fidelma.
Der junge Mann schüttelte überlegen den Kopf.
»Nein, um die Sterne zu sehen.«
Fidelma mußte einen Moment nachdenken, ehe sie begriff, was er meinte.
»Zum Schrein des heiligen Jakobus vom Sternenfeld?«
»Cummian sagt, wenn man an dem Schrein steht, kann man in den klaren Nachthimmel hinaufschauen und den Weg der Weißen Kuh erkennen, der sich direkt bis zu den Königreichen von Éireann erstreckt. Man sagt, daß unsere Ahnen vor mehr als tausend Jahren dem Weg der Weißen Kuh folgten und so an die Küsten des Landes gelangten, das sie besiedelten.« Kurz klang Begeisterung in seinen Worten auf.
Fidelma wußte, daß der Weg der Weißen Kuh unter vielen Namen beschrieben wurde. Im Lateinischen hieß er Circulus Lacteus, die Milchstraße.
»Deswegen heißt der Ort ja Sternenfeld, weil die Sterne so klar sichtbar sind«, fügte er hinzu.
»Also schlug Cummian vor, du solltest auf diese Pilgerfahrt gehen?«
»Als Schwester Canair ankündigte, sie wolle die Reise organisieren, sorgte Cummian dafür, daß ich sie begleiten konnte.«
»Du kanntest aber Schwester Canair schon?«
Er schüttelte den
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