08 - Tod Auf Dem Pilgerschiff
sagst, warum bist du dann mit auf diese Pilgerfahrt gegangen?«
»Es war ja Schwester Canair, die die Pilgerreise führen sollte. Aber Canair war auch ein schlechter Mensch.«
»In welcher Hinsicht?« Fidelma war überrascht. »Heißt das, daß sie dich ebenfalls schikaniert hat?«
»O nein.« Das Mädchen schüttelte den Kopf. »Schwester Canair hat mich einfach nicht beachtet. Sie nahm mich überhaupt nicht wahr. Wie ich sie alle gehaßt habe! Wie ich gewünscht habe …« Plötzlich erblaßte sie und sah Fidelma angstvoll an. »Ich wollte nicht, daß Schwester Muirgel auf diese Weise sterben sollte. Ich wollte nur, daß sie bestraft würde.«
»Bestraft? Was willst du damit sagen?«
Schwester Gormán blickte ängstlich drein.
»Ich schwöre, so habe ich es nicht gemeint.«
»Was gemeint?« fragte Fidelma. »Was hast du nicht gemeint, Schwester? Willst du damit sagen, daß du etwas mit Muirgels Verschwinden zu tun hast?«
Mit großen Augen starrte das Mädchen Fidelma an, als sei sie entsetzt bei diesem Gedanken.
»Ich habe ihr Böses gewünscht. Ich stand um Mitternacht vor ihrer Kajüte und habe sie verflucht.«
Fidelma wußte nicht, ob sie von dieser dramatischen Offenbarung belustigt oder entsetzt sein sollte.
»Du sagst, du hast um Mitternacht mitten im Sturm vor ihrer Kajüte gestanden und sie verflucht? Meinst du das wirklich?«
Schwester Gormán nickte langsam.
»Ich war dort während des Sturms.«
»Bist du in die Kajüte gegangen?«
»Nein. Ich stand da und fluchte ihr mit den Worten des Psalms.« Sie begann mit klagender Stimme zu rezitieren:
»Ihre Augen müssen finster werden, daß sie nichts sieht,
Und ihre Lenden laß immer wanken.
Gieße deine Ungnade auf sie,
Und dein grimmiger Zorn ergreife sie.
Laß sie in eine Sünde über die andere fallen,
Daß sie nicht komme zu deiner Gerechtigkeit.
Tilge sie aus dem Buch der Lebendigen,
Daß sie mit den Gerechten nicht angeschrieben werde.«
Fidelma staunte über die Heftigkeit in der Stimme des Mädchens und bemühte sich dann, die Sache leicht zu nehmen.
»Das ist aber keine genaue Übersetzung des Psalms neunundsechzig«, meinte sie.
»Aber sie hat gewirkt! Mein Fluch hat gewirkt!« Das Mädchen klang beinahe hysterisch. »Bald darauf muß sie an Deck gegangen und von Gottes rächender Hand über Bord gefegt worden sein.«
»Das glaube ich nicht«, erwiderte Fidelma trocken. »Wenn eine Hand im Spiel war, dann war es eine menschliche Hand.«
Schwester Gormán sah sie einen Moment an, und dann schlug ihre Stimmung plötzlich um. Ihr Blick wurde mißtrauisch.
»Was meinst du damit? Ich dachte, alle sagten, sie sei über Bord gespült worden.«
Fidelma merkte, daß sie mehr verraten hatte, als sie wollte.
»Ich meinte nur, daß dein Fluch und deine Anrufung Gottes nicht dafür verantwortlich waren.«
Schwester Gormán bedachte das einen Moment.
»Aber ein Fluch ist eine schreckliche Sache, und ich muß für meine Sünde Buße tun. Doch ich kann das nicht, indem ich Schwester Muirgel vergebe oder mich selbst schuldig fühle.«
»Erklär mir nur eins, Schwester Gormán«, sagte Fidelma, die sich allmählich ärgerte über die ichbezogene Haltung der jungen Nonne und ihr Festhalten an der Überzeugung, sie sei verantwortlich für Schwester Muirgels Tod. »Du hast also deine Kajüte gegen Mitternacht verlassen?«
Das Mädchen nickte.
»Du teilst die Kajüte mit Schwester Ainder, nicht wahr?«
»Ja.«
»Hat sie gesehen, wie du aus der Kajüte gingst?«
»Sie schlief noch tief. Sie hat einen festen Schlaf. Sie hat mich nicht hinausgehen sehen.«
»Der Sturm tobte bereits?«
»Ja.«
»Deine Kajüte liegt an der Treppe oder wie immer das heißt. Du sagst also, du bist den Gang entlang bis zu ihrer Kajüte gegangen und hast niemanden gesehen oder getroffen?«
Schwester Gormán schüttelte den Kopf.
»Um die Zeit war niemand unterwegs«, bestätigte sie. »Der Sturm war sehr schlimm.«
»Und nach deinen Worten hast du vor ihrer Tür gestanden, bist nicht hineingegangen, sondern hast sie verflucht. Hat das niemand gehört?«
»Der Sturm war noch im Anschwellen. Ich glaube, selbst jemand, der neben mir stand, hätte mich nicht gehört.«
Fidelma sah sie an und hatte Mühe, ihr zu glauben. Es schien so absonderlich, aber oft war das Unglaubliche die Wahrheit und das Einleuchtende die Lüge.
»Wie lange hast du an der Kajütentür gestanden bei deinem sogenannten Verfluchen?« wollte sie wissen.
»Ich bin nicht
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