08 - Tod Auf Dem Pilgerschiff
sicher. Nicht lange, vielleicht eine Viertelstunde. Ich weiß es nicht.«
»Was tatest du, als du fertig warst damit?«
»Ich ging in meine Kajüte zurück. Schwester Ainder schlief noch, und der Sturm tobte. Ich lag auf meiner Koje, schlief aber erst ein, als der Sturm nachließ.«
»Von draußen hörtest du nichts?«
»Ich glaube, ich hörte, wie die Tür der Kajüte gegenüber zugeschlagen wurde. Ich war gerade beim Einschlafen und wurde kurz noch einmal wach.«
»Wie kannst du das beim Tosen des Sturms gehört haben? Du sagtest gerade, niemand hätte dich hören können. Wie konntest du dann das Schließen einer Kajütentür hören?«
Schwester Gormán schob streitlustig das Kinn vor.
»Ich hörte es, weil es nach dem Abflauen des Sturms war.«
»Na gut«, meinte Fidelma. »Ich wollte nur sichergehen, daß ich dich richtig verstanden habe. Und diese Kajütentür, die du zuschlagen hörtest, war die gegenüber?«
»Die der Kajüte von Cian und Bairne.«
»Aha. Dann schliefst du wieder ein und wurdest nicht mehr gestört?«
Schwester Gormán sah beunruhigt aus. »Mein Fluch hat sie getötet, verstehst du? Ich glaube, ich werde dafür bestraft.«
Fidelma stand auf und sah das Mädchen mitleidig an. Schwester Gormán war unverkennbar labil. Sie brauchte dringend Hilfe von ihrer Seelenfreundin, der Gefährtin, die dafür da war, sich ihre Probleme anzuhören und sie mit ihr zu besprechen. Jeder in den Kirchen der fünf Königreiche wählte sich einen anam-chara , einen Seelenfreund.
»Du kennst wohl das alte Sprichwort nicht«, versuchte sie das Mädchen zu beruhigen: »Tausend Flüche zerreißen noch kein Hemd.«
Gormán blickte zu ihr auf.
»Ich habe Schwester Muirgel verflucht und ihr den Tod gebracht. Nun muß ich mich selbst verfluchen.«
Sie wiegte sich vor und zurück, die Arme um den Leib geschlungen, und sang leise vor sich hin:
»Der Tag müsse verloren sein, darin ich geboren bin,
Und die Nacht, welche sprach: Es ist ein Kind empfangen!
Derselbe Tag müsse finster sein, und Gott von oben herab
Müsse nicht nach ihm fragen;
Kein Glanz müsse über ihn scheinen!
Finsternis und Dunkel müssen ihn überwältigen,
Und dicke Wolken müssen über ihm bleiben,
Und der Dampf am Tage mache ihn gräßlich!
Die Nacht müsse Dunkel einnehmen;
Sie müsse sich nicht unter den Tagen des Jahres freuen
Noch in die Zahl der Monden kommen!
Siehe die Nacht müsse einsam sein
Und kein Jauchzen darin sein!
Es müssen sie verfluchen …«
Fidelma verließ das wirre junge Mädchen, das weiter vor sich hin sang, und ging fort mit einem Gefühl leichten Ekels. Welche der anderen merkwürdigen Nonnen sollte sie bitten, sich um Schwester Gormán zu kümmern? Das Mädchen brauchte Hilfe, aber Fidelma konnte diese Verantwortung jetzt nicht übernehmen. Es schien auch niemand sonst dazu geeignet. Schwester Ainder besaß nicht genug Mitgefühl, und Crella war selbst zu jung. Fidelma würde später nach ihr sehen müssen. Erst mußte sie noch Dathal, Adamrae, Bairne und Tola befragen.
Plötzlich fiel Fidelma auf, daß es ein Mitglied der Pilgerschar gab, das sie überhaupt noch nicht zu Gesicht bekommen hatte. Es war Bruder Guss. Seit er an Bord gekommen war, hatte er seine Kajüte nicht verlassen, nicht einmal, als Murchad bei der gefährlichen Durchfahrt durch die Felsen alle an Deck beordert hatte. Er teilte eine Kajüte mit Bruder Tola. Sie hatte gesehen, daß Bruder Tola am Wasserfaß neben dem Großmast saß und las und hielt es für eine günstige Gelegenheit, sich den ihr bisher unbekannten Mönch vorzunehmen.
Sie klopfte an seine Kajütentür und wartete.
Man hörte, wie sich drinnen jemand bewegte, und dann eine Weile nichts. Sie klopfte erneut. Es kam eine leise Antwort, sie trat ein und blieb stehen, bis sich ihre Augen an die Dunkelheit in der Kajüte gewöhnt hatten. Die schattenhafte Gestalt eines Mannes saß auf einer Koje.
»Bruder Guss, nehme ich an?«
Sie sah, wie der Mönch das Gesicht in ihre Richtung wandte.
»Ich bin Guss«, erwiderte er mit zitternder Stimme.
»Können wir hier etwas Licht bekommen?« fragte Fidelma und wartete die Antwort nicht ab, sondern nahm eine Laterne vom Gang und stellte sie in die Kajüte.
Beim Licht sah man, daß der Mönch noch jung war. Mehrere Dinge fielen ihr an ihm auf, das zerzauste rötliche Haar, die Sommersprossen auf seiner hellen Haut, seine angstvollen großen blauen Augen und seine hohe, sehnige Gestalt. Als sie ihm in die Augen
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