0800 - Die Kaiserin von Therm
sie schweigend nebeneinander her, dann hatten sie den Wohnkessel erreicht, in dem Callazian lebte.
„Du wohnst hier?" erkundigte sich der alte Soberer, als Callazian stehen blieb.
„Ja", bestätigte der Archivverwalter widerwillig.
Hoch über ihnen leitete einer der täglich ankommenden Frachtraumer das Bremsmanöver ein.
Das Lärmen der Triebwerke Heiß die Luft erdröhnen. Die Vibrationen schienen tief in Callazians Körper einzudringen und dort fortzuschwingen, nachdem längst nichts mehr zu hören war.
„Mein Name ist Kostroy", sagte der Geschlechtslose.
„Das ist eine Uninformation!" versetzte Callazian ärgerlich.
„Das mag schon sein - aber ich heiße so!"
Sie sahen sich an, und Callazian hatte den Eindruck, daß er den anderen belustigte. Diese Feststellung war unerträglich, sie steigerte seinen Ärger.
„Ich nehm's dir nicht übel, daß du mir nicht glaubst", meinte Kostroy leichthin. „Du lebst in der tiotronischen Ordnung und ignorierst die Dinge, die sich außerhalb von ihr ereignen."
„Außerhalb der tiotronischen Ordnung herrscht Uninformation.
Das bedeutet Willkür und Chaos!"
Kostroy deutete in Richtung der Schneise.
„Und dort?"
„Eine technische Störung, die bald behoben sein wird."
Eine Bande plündernder Kinder erschien auf der anderen Seite des freien Platzes und verschwand johlend in einem der jetzt verlassenen Wohnkessel.
Callazian hob abwehrend beide Arme.
„Es sind Informationsunwürdige! Es ist sinnlos, daß wir uns Darüber unterhalten."
„Was wirst du tun, wenn sie deine Wohnung ausrauben?"
„Man wird mir alles ersetzen; was mir abhanden kommen sollte."
„Neben der tiotronischen Ordnung ist eine zweite Welt entstanden", sagte Kostroy ernst. „Die Welt der Uninformation. Je gründlicher die tiotronische Ordnung wird, desto schneller breitet die Uninformation sich aus."
„Bist du Philosoph?"
„Ich bin Wahrsager!"
„Ein Wahrsager!" Callazian riß empört die Augen auf. „Die tiotronische Ordnung ist überschaubar und wird geplant.
Alles geschieht, was zu geschehen hat."
„Wir haben die Kontrolle über Unser tiotronisches Kommunikationssystem längst verloren", sagte Kostroy traurig.
„Die Tiotroniken funktionieren innerhalb des Rahmens, den sie sich inzwischen selbst geschaffen haben. Wir sind nur noch ihre Bediensteten. Die totale Information hat uns versklavt. Wir haben den Überblick verloren und uns einer unsoberischen Institution ausgeliefert."
„Bist du ein Revolutionär?" fragte Callazian bestürzt.
„Von deinem Standpunkt aus - sicher. Aber es gibt keine Revolution, die uns retten könnte, denn sie sind letztlich alle nur Reflexionen unserer Zivilisation."
Einer inneren Eingebung folgend, sagte Callazian spontan: „Führe mich zu der Bahn."
„Ich wußte, daß du mitkommen würdest", meinte Kostroy. „Als ich dich von der Schneise zurückkommen sah, war ich überzeugt davon. Du stehst im Begriff, das zu verlassen, was du die tiotronische Ordnung nennst."
„Das ist ja absurd", wehrte der Archivverwalter ab, „Ich bin nur neugierig."
„Neugierig - worauf? Alles ist bekannt! Jeder ist total informiert.
Also bist du neugierig auf die Uninformation."
In diesem Augenblick kam die Kinderbande aus dem Wohnkessel heraus. Callazian war einer Antwort enthoben. Die Halbwüchsigen schleppten das, was sie gefunden hatten, mitten auf den Platz und zündeten es an. Als sie sich zurückzogen, kamen Roboter, löschten das Feuer und transportierten die halb verkohlten Gegenstände davon. Danach wurde die Feuerstelle von ihnen gereinigt.
Mit einer Mischung aus Ekel und Faszination hatte Callazian den Vorgang beobachtet. Unwillkürlich fragte er sich, ob sich solche Dinge jeden Tag ereigneten.
„Es sind Verzweifelte, die sich gegen die tiotronische Ordnung auflehnen", sagte Kostroy leise.
„Diebe", krächzte Callazian, „Es sind Informationsunwürdige und Diebe."
„Sie sind vergleichsweise harmlos", wehrte Kostroy ab. Er sah den Archivverwalter lauernd an. „Warum nennst du nicht deinen Namen?"
„Einem Informationsunwürdigen?" Nach einigem Zögern fügte er jedoch hinzu: „Callazian!"
„Hör mir zu, Callazian! Die tiotronische Vollkommenheit, die von den Soberern angestrebt wird, ist nicht zu erreichen.
Unser Volk selbst wird dabei auf der Strecke bleiben. Hast du jemals miterlebt, wenn zwei Wissenschaftler verschiedener Fachrichtungen sich verständigen wollen? Sie sind nahezu hilflos, sie reden in verschiedenen Sprachen.
Weitere Kostenlose Bücher