0802 - Besuch aus der Hölle
seltsames Gefühl des Wiedererkennens in ihm.
Denn der Dämon hatte seine wahre Gestalt angenommen.
Es war der gehörnte Teufel, der in Paris so rigoros gegen seinen Artgenossen vorgegangen war.
Und er streckte seine Klauen nach einer verletzten Griechin aus, die ihn mit weit aufgerissenen Augen anstarrte…
***
Paola Lukos schrie wie von Sinnen.
Schon immer hatte sie gewusst, dass der Leibhaftige sie eines Tages bestrafen würde für das, was sie getan hatte. Man hatte ihr einreden wollen, dass es nicht ihre Schuld gewesen war, doch das stimmte nicht. Natürlich war es ihre Schuld gewesen. Ihr Vater hatte es gesagt, gleich nachdem es geschehen war. Und ihr Vater irrte sich nicht. Niemals.
Ein Verbrechen wie das, das sie vor mehr als zehn Jahren begangen hatte, konnte nicht auf Dauer ungesühnt bleiben. Doch bis heute hatte sie sich an die Hoffnung geklammert, das Strafgericht würde erst nach ihrem Tod über sie hereinbrechen, wenn sie möglicherweise soviel Gutes getan hatte, dass ihre Schuld damit aufgewogen war - oder wenigstens ein Teil davon.
Diese Hoffnung hatte sie getrogen, wie sie jetzt erkennen musste.
Denn der Teufel persönlich stand vor ihr und wollte sie zur Rechenschaft ziehen für ihre bösen Taten. Dafür, dass ihr Bruder gestorben war, weil sie nicht aufgepasst hatte…
»Nein!«, schrie sie die gehörnte Gestalt an. »Noch nicht! Ich flehe dich an, hole mich noch nicht zu dir! Ich will dir dienen, wenn du nur…«
»Schweig!«, donnerte der Teufel und schickte ihr einen grell leuchtenden, gezackten Blitz entgegen, der aus dem Nichts entstand, in ihren linken Arm schlug und ihr Fleisch verschmoren ließ.
Tränen schossen ihr in die Augen, und eine Sekunde lang fragte sie sich, wieso der Schmerz nicht so schlimm war, wie sie dachte, dass er sein müsste.
Doch dieser Augenblick verging schnell, und der Schmerz drang bis in die tiefsten Tiefen ihrer Seele. »Ich bereue!«, schrie sie. »Du hast kein Anrecht auf mich!«
Der Leibhaftige ließ sich von ihren Worten nicht beeindrucken. Er streckte seine Klauen, die mit langen hornigen Fingernägeln versehen waren, nach ihr aus.
Die Zeit schien zu gefrieren - und dann…
Dann glaubte Paola Lukos, eine Erscheinung zu haben. Das muss der Vorbote des Todes sein, dachte sie. Oder der Tod selbst, der sich mir nähert!
Seltsam, denn sie hatte sich den Tod immer als gnadenlosen, verhärmten Mann mit einer verrosteten alten Sense vorgestellt. Doch die Gestalt, die auf sie zurannte, war das glatte Gegenteil davon. Eine hübsche junge Frau.
Doch sie fand es nicht wirklich verwunderlich, dass der Tod anders war, als sie erwartet hatte. Nichts konnte sie heute überraschen, an diesem Tag, an dem der Leibhaftige ihr gegenübertrat. Der Tod hatte sicherlich die Möglichkeit, jede ihm genehme Gestalt anzunehmen.
»Lass sie in Ruhe!«, rief der Tod, der ihr im Körper einer jungen Frau erschien, und seine Stimme war befehlsgewohnt. Und dabei sogar noch überaus wohlklingend.
Der Teufel wirbelte herum und stieß einen wütenden Laut aus. Mit einer beiläufigen Bewegung packte er Paola und schleuderte sie zur Seite, zwischen zwei Bäumen hindurch. Sie landete weich auf einer bemoosten Fläche, nur ihr verletzter Arm schmerzte fürchterlich. Ihr erster Impuls war zu fliehen, die Stätte dieses grausigen Schauspiels hinter sich zu lassen.
Doch das Geschehen, das sich ihr bot, war einfach zu faszinierend. Nie hätte sie gedacht, einmal Zeuge einer Auseinandersetzung zwischen dem Tod und dem Teufel zu werden. Und was hatte sie jetzt schon noch zu befürchten? Wenn der Tod sie nicht haben wollte - und genau das bedeuteten seine Worte doch -, dann konnte sie beruhigt sein.
»Du bist es!«, drang die heisere Stimme des Teufels zu ihr heran.
»Hast du etwa gedacht, du könntest uns entkommen?«, fragte der Tod in der Gestalt der jungen Frau.
Paola Lukos sah im nächsten Moment, wie eine dritte Gestalt herbeilief. Ein Mann, gekleidet in einen modischen weißen Anzug.
»Ich euch entkommen ? Lächerlich! Ich sehe keinen Grund, vor euch zu fliehen!« Der Leibhaftige schien erbost. Paola stand der Vorsicht halber auf und zog sich hinter einen Baumstamm zurück, sodass sie alles beobachten konnte, aber nicht zu Schaden kam, wenn gleich die Fetzen flogen. Man konnte nie wissen, was noch kommen mochte.
»Wenn du keine Angst vor uns hast«, sagte der weiß gekleidete Mann, »warum hast du dann den Dämon in Paris vernichtet?«
»Geschwätz!«, schrie der Teufel
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