081 - Hexentanz
einschätze, Elger, lieben Sie es nicht, Dinge nur halb zu erledigen. Passen Sie auf sich auf!
Nun zu den Dingen, die ich herausgefunden, habe. Sie werden staunen! Pfarrer Leblanc, den ich seit Kindestagen kenne und der schon immer einen Narren an mir gefressen hatte, wollte erst nicht mit der Sprache heraus. Ich mußte alle Register ziehen, ehe er mir etwas anvertraute, was seit Jahrhunderten im Besitz der Kirche ist. Irgendein angstgepeitschter Nachfahre Pierre Clouets hat sich seinem Beichtvater anvertraut und ihm ein Schriftstück übergeben, eine Art Tagebuch. Darin gesteht Pierre Clouet, auf welche Art er sich seine orientalische Geliebte vom Halse schaffte. Sie erwartete: nämlich ein Kind. Das komplizierte die Dinge. Pierre Clouet fürchtete um seinen guten Ruf. Vielleicht wollte er sich den Verpflichtungen entziehen, die sich aus diesem Umstand ergaben. Er selbst nennt natürlich nur die lautersten Motive, deutet sogar an, Fatima – so hieß die bildhübsche Sarazenin, deren dämonisch schönes Aussehen ihr Mörder immer wieder erwähnt – habe ihn gebeten, sie zu töten, da sie einerseits vom Heimweh verzehrt werde, andererseits nicht von ihrem Geliebten lassen könne. Ich halte das allerdings für eine Schutzbehauptung des Täters. Wie dem auch sei – Fatima wurde erschlagen. Pierre Clouet verscharrte sie bei Nacht und Nebel. Den Ort gibt er nicht preis. Das Kind der Orientalin wurde nie geboren. Pierre Clouet selbst starb ein Jahr später, an seinem dreißigsten Geburtstag, genau um Mitternacht. Die Umstände waren so spektakulär und mysteriös, daß der Bischof von Lüttich eine Untersuchungskommission einsetzte. Die hohen Herren kamen zu dem Schluß, der Satan persönlich habe seine Hand im Spiel gehabt. Ein Exorzist wurde beauftragt, die Dämonen aus dem Hause der Clouets zu vertreiben. Offensichtlich ist er nicht sehr erfolgreich gewesen. Bis zum heutigen Tag sterben also die männlichen Nachkommen jenes legendären Kreuzritters Pierre Clouet zur gleichen Stunde. Sie haben genau dreißig Jahre Zeit, sich darauf vorzubereiten. Es gibt kein Entrinnen. Das Tagebuch und Geständnis des Ahnherrn wurde von seinen Nachkommen weitergeführt, ergänzt. Manchmal schilderte eine Ehefrau das grauenvolle Ende ihres Gatten. Die etwa neunzig dicht beschriebenen Seiten lesen sich wie ein Horrorroman. Kein Wunder, daß die Kirche von Bouillon dieses einmalige Dokument nicht publiziert hat. Nur ein gewisser Abbe Sardoin, aus dem achtzehnten Jahrhundert, erwähnte es in seinem Buch ›Teufel und Dämonen in unserer Zeit‹. Es hat ziemlichen Wirbel verursacht, da Mitglieder der Familie Clouet Einspruch erhoben. Seitdem schweigt auch die Kirche. So die Fakten, die ich ausgegraben habe. Machen Sie sich selbst einen Reim darauf, lieber Elger. Ich hoffe, wir sehen uns noch, ehe Sie abreisen. Wenn Sie diese Stadt verlassen... Ich möchte Sie nicht unnötig verunsichern, aber ich werde von schlimmen Ahnungen gequält, seit ich die geheime Schrift und das Geständnis des Mörders gesehen habe. Es scheint, als bestätigte sich unser Verdacht. Wenngleich die Angelegenheit dadurch noch undurchsichtiger würde. Aber es liegt eine ungeheure Schuld auf der Familie Clouet, ein Fluch, der unbarmherzig die Leben aller männlichen Nachfolger fordert, sobald sie das dreißigste Lebensjahr erreichen. Und vergessen Sie nicht, daß Sie Armand Clouet verblüffend ähnlich sehen.
Es folgten ein paar Grußworte und die Mahnung, vorsichtig zu Werke zu gehen. Der letzte Satz des Textes aber erheiterte mich wirklich. Was hatte es mit dieser angeblichen oder tatsächlichen Ähnlichkeit auf sich? War das ein Verbrechen? Außerdem traute ich diesem rätselhaften Rachedämon mehr zu als meiner Verbündeten. Jemand, der mit tödlicher Sicherheit seine Opfer an einem beliebigen Punkt der Erde zu einer bestimmten Stunde vernichtet, wird sich kaum einen Mißgriff aufgrund einer Verwechslung leisten. So dachte ich jedenfalls in diesem Augenblick...
Nun kannten wir also den Feind.
Es wäre interessant gewesen, die sterblichen Überreste dieser Orientalin zu finden. Wo mochte Pierre Clouet sein Opfer verscharrt haben? Wann genau hatte er überhaupt Fatima getötet?
Ich zog mein Gedächtnisprotokoll zu Rate, das ich angefertigt hatte, um wichtige Daten festzuhalten, die ich der Familienbibel entnommen hatte.
Danach war der Kreuzritter 1099 zurückgekehrt, drei Jahre nach seinem Fortgang. Er hatte die Orientalin mitgebracht, aber im gleichen Jahr
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