0813 - Warten auf den Todesstoß
Dämon, der zusammen mit anderen versucht hatte, gottgleich zu sein. Das Kreuz aber war stärker gewesen.
Er rührte sich nicht vom Fleck, im Gegensatz zu mir. Ich wollte endlich Schluss machen.
Mit kleinen Schritten ging ich über die verrosteten Schienen hinweg. Massago tat nichts. Ich konzentrierte mich auf seine Augen und schüttelte den Kopf, weil ich den neuen Ausdruck in ihnen einfach nicht begriff. Als ich ihm die beiden ersten Male begegnet war, da hatten seine Augen gestrahlt, da war das eiskalte Feuer in ihnen gewesen, nun aber wirkten sie wie stumpfes Blei.
Das Kreuz hatte ihm seine magische Kraft entrissen. Eine Armlänge vor ihm blieb ich stehen. Er war ungefähr so groß wie ich. Es war mir ein Leichtes, an seine Maske heranzukommen, ich brauchte nur den Arm zu heben und meine Finger hinter das Leder zu bohren.
Nur die Augen waren frei, aber darunter gab es Lücken, wo ich zufassen konnte.
Das Material fühlte sich weich an, beinahe wie eine alte Haut, die mich zudem noch an Pudding erinnerte. Ich drückte sie mit Daumen und Zeigefinger zusammen. Sie schmierte dabei, und sie stank zudem auch widerlich.
Mit einer heftigen Bewegung zerrte ich sie weg. Jetzt musste ich in sein Gesicht sehen können, in eine eklige Fratze, die sich kaum von der Dunkelheit abhob, aber ich hatte mich selten so geirrt. Da war kein Gesicht, da war gar nichts. Vielleicht ein Schatten?
Ich kniff die Augen zusammen, öffnete sie wieder und ließ die Maske noch im selben Augenblick fallen. Ein Souvenir an ihn, den dunklen Engel, der er nicht mehr war.
Hatte es denn Sinn, nach Erklärungen zu suchen? Eigentlich nicht, denn die jenseitige Welt war einfach zu vielfältig. Wer versuchte, sie zu begreifen, musste seine Logik einfach vergessen. Wer dies nicht konnte, wandelte am Abgrund der Verzweiflung.
Mir erging es nicht so, ich hatte meine Erfahrungen sammeln können, doch für ihn hatte ich auch keine Erklärung. Vielleicht doch. Er hatte sich immer als einen Engel bezeichnet und dies auch weitergegeben. Er war ein böser Engel gewesen, keine feinstoffliche Lichtgestalt wie der Erzengel. Dämonische, negative und böse Energie war in einen direkten Kontakt mit meinem Kreuz geraten.
Es hatte gewonnen.
Massago gab es nicht mehr.
Er würde nicht mehr auf die Reise gehen, um sich an unschuldige Menschen heranzumachen.
Ich drehte mich um und ging wieder zurück. Neben dem, was einmal Lorna Löhndorf gewesen war, blieb ich stehen. Ihr war das gleiche Schicksal zuteil geworden wie Giselle Smith-Prange, die auf den Teufel gesetzt und dabei verloren hatte.
Es gab keine Leichen-Lady mehr, aber leider zu viele Tote…
***
Wie ein einsamer Tramper und wie jemand, der den Zug verpasst hatte, hockte ich auf der Bahnsteigkante und schaute mit leerem Blick über die Gleise. Eigentlich hätte ich mich jetzt in den Wagen setzen und wegfahren sollen. Dazu fehlten mir jedoch die Nerven.
Bei einer Durchsuchung des Rolls hatte ich im Barfach Whisky gefunden und auch noch eine Schachtel Zigaretten. Beides hatte ich mitgenommen. Der Whisky war vom Feinsten. Er schmeckte mir, ich trank ihn. Den Grund wusste ich selbst nicht. Vielleicht war es der verdammte Stress der letzten Zeit gewesen, der mich in diese Situation getrieben hatte. Wie dem auch war, ich schaffte es tatsächlich, die Flasche bis zur Hälfte zu leeren.
Irgendwann konnte ich nicht mehr, schleuderte sie weg und fiel langsam nach hinten. Auf dem Bahnsteig schlief ich ein und wurde erst wieder wach, als die Sonne den Vorhang der Dunkelheit bereits ein Stück zur Seite gezogen hatte.
Zwei Augen schauten mich an.
Tieraugen! Ich erschrak, und das Tier sprang hastig zurück.
Erst jetzt sah ich, dass es ein Fuchs war. Ein lebendiger Fuchs, der noch mehr erschrak, als ich laut lachte, obwohl ich einen schrecklichen Brummschädel hatte. Er konnte nicht wissen; weshalb ich lachte. Ich allerdings, denn ich freute mich diebisch darüber, dass es noch lebende Füchse gab. Das gab mir die Hoffnung zurück, die ich in der letzten Nacht schon beinahe verloren hatte…
ENDE
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