0813 - Warten auf den Todesstoß
Sein Freund war schon gestorben. Für ihn stand es fest, auch wenn dessen Leiche noch nicht gefunden worden war. Man hatte ihm keine Chance mehr gelassen, und ebenso würde es Vinc Conlon auch ergehen, wenn man ihn erwischte.
Man würde sich auf die Suche machen. Die anderen ließen sich nicht an der Nase herumführen. Sie waren stark, viel stärker als die Menschen, denn dieses Dasein hatten sie hinter sich. Schon einige Male hatte er sie gespürt. Tief in der Nacht, im grauen Blei der Dunkelheit hatte es an seinem Fenster gekratzt.
Er hatte auch die weiche Geisterstimme vernommen, dieses leise klagende Schreien, mündend in ein kicherndes Lachen.
Heute war es still.
Sehr still sogar.
Keine Kameraden, die lärmten, keine Rekruten, die in der Kaserne den Bär rausließen. Ein ruhiges Weekend stand bevor. Die meisten waren weggefahren. Wer jetzt noch in der Kaserne seinen Platz hielt, tat dies nicht freiwillig. Er hatte Dienst – bis auf Vinc Conlon.
Er traute sich einfach nicht hinaus. Innerhalb des Baus fühlte er sich geborgener, trotz der bohrenden Furcht, die in seinem Körper steckte. Wer ihn hier hocken sah, würde lachen. Er wirkte nicht wie ein Soldat, sondern wie ein Feigling.
Mit dem Rücken hatte er sich gegen die Wand gedrückt. Die Beine waren angezogen, auf den Knien hatte das Gewehr seinen Platz gefunden. Die Mündung wies nach links.
Das Fenster aber lag rechts. Er konnte es deutlich erkennen. Das hellere Grau des Vierecks und nicht weit davon entfernt die Umrisse seiner Schlafstätte, neben der auch der Spind stand. In seinem Bett würde er vorerst nicht liegen, er wollte in der Ecke warten. Wenn sie kam, dann würde sie sofort einen Blick auf das Bett werfen und es leer vorfinden. Das war wichtig.
Conlon wusste nicht, wann sie erschien. Vor Mitternacht, nach Mitternacht, bewaffnet, unbewaffnet, es war alles möglich, es konnte alles passieren. Er wusste auch nicht, wie sie sein Zimmer betreten würde, aber er wusste, dass er auf der Liste stand.
Vinc Conlon war fünfundzwanzig. Er diente gern in der Armee. Er hatte sich schnell hochgeboxt, wobei nicht einmal sein Vater, ein hoher Beamter im Verteidigungsministerium, daran »gedreht« hatte.
Vinc hatte es aus eigener Kraft geschafft. Er war auch von seinen Kameraden akzeptiert worden, was ihm gut getan hatte.
Befreundet gewesen war er mit Earl Taggert. Den aber gab es nicht mehr. Ihn hatte der Teufel geholt. Er war in dieser furchtbaren Nacht verschwunden und nicht mehr aufgetaucht. Earl war tot.
Sie hatte ihn geholt.
Sie würde auch ihn holen.
Geglaubt hatte ihm die Geschichte niemand. Für seine Vorgesetzten war Earl Taggert zu einem Deserteur geworden. Es lief eine Fahndung nach ihm, darüber konnte Vinc nur grinsen.
Auch sein Vater hatte ihm nicht so recht geglaubt, war allerdings skeptisch geworden, und Vinc hielt es für durchaus möglich, dass er die Hilfe seines alten Herrn noch einmal benötigte, falls er überlebte, denn genau das war sein Problem.
Vor dem Fenster ballte sich die Dunkelheit. Dieser Kasernenbau lag in einem Bereich, wo wenig Laternen ihre Lichter abgaben. Vinc hatte sich darüber immer gefreut, in diesem Fall tat er es nicht. Die nächsten Lichtinseln standen dort, wo sich das Magazin befand.
Dort patrouillierten auch die Wachen stets in Zweierstreifen. Der Überfall der IRA war noch allzu gut in Erinnerung.
Wie lange Conlon schon in seiner unbequemen Lage gehockt hatte, konnte er nicht sagen. Er war müde und schaffte es trotzdem nicht, den nötigen Schlaf zu finden. Sein Inneres befand sich in Aufruhr, er fühlte sich körperlich kaputt und gleichzeitig überreizt.
Seine Beine schliefen ein. Er keuchte, als er sie ausstreckte. In der Bude war es warm. Er hätte lüften müssen, wollte das Fenster jedoch nicht öffnen.
Man sollte dem Bösen keine Chance geben.
Wieder überfielen ihn die Vorwürfe. Wären er und Earl doch nicht an diesen verfluchten Ort gegangen. Gerüchte gab es ja genug, er hätte nur darauf hören müssen.
So aber musste er zahlen.
Ein Blick auf die Uhr.
Gleich Mitternacht.
Vinc Conlon kriegte eine trockene Kehle, als er daran dachte. Sein Herz schlug schneller, die Angst nahm noch mehr zu, und schlimme Gedanken bewegten sich hinter seiner Stirn. Sie formierten sich zu schrecklichen Bildern, in deren Mittelpunkt er sich selbst sah.
Fürchterliche Kräfte zerrten und rissen an ihm, sie kannten kein Pardon, sie töteten ihn auf eine schreckliche Art und Weise.
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