0813 - Warten auf den Todesstoß
sterben, du wirst sterben, denn in dieser Nacht triumphiere ich.«
Dass mit diesen Versprechungen nicht zu spaßen war, wusste auch die Gräfin. Obwohl ihr Leben schon so gut wie hinter ihr lag, wollte sie es nicht so einfach wegwerfen und krächzte die folgenden Worte. »Du solltest etwas tun, junger Mann. Es wäre besser für uns beide.«
Mit meiner Erwiderung brachte ich sie noch mehr in Verlegenheit.
»Warum sollte ich Sie retten? Ausgerechnet Sie, wo Sie mir ebenfalls den Tod gewünscht haben?«
»Es soll Ihr Schaden nicht sein.«
»Wollen Sie mich auch dem Teufel verkaufen?«
»Nein, Sie nicht, aber ich gehöre nicht zu den armen Menschen, wenn Sie verstehen. Ich bin reich, sogar ziemlich reich. Ich könnte auch Sie zu einem reichen Mann machen.«
»Darauf verzichte ich.«
»Hooo«, lachte sie. »Das habe ich noch nie gehört, dass jemand freiwillig auf Geld verzichtet, Reichtum ist keine Schande, und so nobel kann ein Mensch nicht sein.«
»Ich schon.«
»Bring sie um!«
Giselle Smith-Prange hatte die Kontrolle über sich verloren. Selbst bei diesen miesen Lichtverhältnissen war mir ihr verzerrtes Gesicht nicht entgangen.
Sie war wie eine bösartige Schlange, und die Hand mit dem Messer zuckte.
Auf einmal sah ich den dunklen Streifen an der faltigen Haut. Ein kleiner Schnitt nur, mehr nicht. Die Ouvertüre zu dem, was ihr noch bevorstand.
Die Gräfin schrie nicht, als Lorna sie zurückzerrte. Sie wollte mit mir im Stationsgebäude verschwinden und gab mir dies auch indirekt zu verstehen.
»Dich hole ich später!« Dann war sie weg.
Ich zwinkerte mit den Augen. Alles war so schnell gegangen, als wäre Lorna zu einem Geist geworden, der sich eben so rasant bewegte, ohne auf die normalen Gegebenheiten zu achten. Sie hatte mich stehen lassen, und ich dachte über ihr Versprechen nach. Bestimmt würde sie mich holen, wenn sie mit der »Tante« fertig war.
Ich blieb keine Sekunde länger an der Bahnsteigkante stehen. Federnd sprang ich zwischen die Gleise, duckte mich und suchte abermals den Boden ab, weil ich unbedingt meine Beretta zurückhaben wollte. Ich wusste auch ungefähr, wo ich sie verloren hatte. Im Gegensatz zu Lukes Waffe lag sie hier bei den Schienen.
Das Glück war diesmal auf meiner Seite. Etwas schimmerte auf dem dunklen Untergrund. Es war zwar auch dunkel, glitzerte aber auch.
Als ich die Hand um den kalten Griff gelegt hatte, fühlte ich mich wohler.
Natürlich konnte ich mit der Beretta das Grauen nicht vollends stoppen, auch das verdammte Messer nicht, das die Funktion eines Bumerangs hatte. Diese Waffe war etwas Besonderes, und Lorna verstand es ausgezeichnet, mit ihr umzugehen. Zudem war sie gewarnt, denn ich hatte einen Angriff abwehren können.
Bevor ich mich an die Verfolgung der beiden machte, schaute ich mich in der Umgebung um.
Massago war nicht zu sehen!
Er stand wie eine finstere Drohung hinter allem, er war der mächtige Dämon, der seine Fäden gezogen hatte, und er sorgte dafür, dass die anderen nach seiner Pfeife tanzten.
Er war nicht da, und trotzdem war er vorhanden. Irgendwie spürte ich ihn, und die beiden Fälle aus der Vergangenheit wurden wieder lebendig. Auch dort war es ihm gelungen, normale Menschen für sich zu gewinnen und sie in Mordwesen umzuwandeln. Da hatte ich das gleiche Fluidum gespürt, mir kam es vor, als wären überhaupt keine Jahre vergangen. Alles war wie damals…
Die Kette hatte ich wieder über den Kopf gestreift, und das Kreuz hing jetzt offen vor meiner Brust. Ich ließ mir Zeit und stürmte nicht wie ein Berserker in die Halle.
Neben der Tür blieb ich stehen. Die alte Wand war kühl. Ich spürte sie an der linken Schulter und an meinem Arm. Aus dem Innern hörte ich nichts. Der Bahnhof lag ebenfalls eingepackt in einer bedrückenden Stille.
Weiterhin trieben Dunstschwaden aus dem Sumpf kommend herbei und woben ihn ein wie ein Kokon.
Sekundenstille, die urplötzlich von einem scharfen und schrillen Frauenlachen zerstört wurde.
Das war nicht Giselle Smith-Prange gewesen.
Sie ächzte.
Wieder das Lachen.
Danach der stumpf klingende Entsetzensschrei der alten Gräfin.
Dann war es wieder ruhig.
Tödlich ruhig…
Okay, ich hätte in den Bau stürmen können, aber ich war nicht lebensmüde. Lorna Löhndorf war eine nicht zu unterschätzende Feindin. Sie konnte eine Falle aufgebaut haben, in die ich nicht hineintappen wollte. Deshalb war ich vorsichtig, auch wenn ich mir Sorgen um die alte Frau machte. Von ihr hörte ich
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