0816 - Die Schattenfrau
Sie ließ das Schwert sinken und schaute sich an, was sie geleistet hatte.
Vor ihr standen zwei Hälften. Ein kerzengerader Riss teilte sie.
Und beide Hälften lebten noch, denn da zuckte die linke Hälfte ebenso wie die rechte.
»Das war der Anfang, Bestie«, sagte Kara und hob den rechten Arm mit dem Schwert an.
Sie holte nicht nur aus, die drehte die Waffe auch über ihrem Kopf. Einen Augenblick später schlug sie zu, und sie drehte ihre Waffe dabei wie einen Kreisel.
Sie erwischte alles. Sie zerstückelte die Gestalt. Sie machte aus ihr ein Puzzle. Sie schlug im Zickzack, und immer mehr Körper verschwand, um einer Leere Platz zu schaffen.
Die Schattenfrau wurde es zu dem, was sie tatsächlich war. Zu einem Schatten, zu einem Nichts, zu einem Teil der Finsternis.
Kara schlug weiter. Das Schwert sauste durch die Luft und hinterließ dabei fauchende und zischende Geräusche. Und sie drosch von verschiedenen Seiten und immer wieder so hart und intensiv zu, bis von der Schattenfrau nichts mehr da war.
Dann drehte sie sich um. Und sie hörte den Schuss!
***
Ich hatte ihn abgefeuert, weil ich die verfluchte Bestie mit dem blutigen Maul einfach nicht mehr sehen wollte. Die Silberkugel durchschlug den Schädel und tötete den Schakal.
Der Weg zu Clifford Tandy war frei.
Meine Beine zitterten schon, als ich die kurze Strecke zurücklegte. Auf meinen Schultern schien eine große Last zu liegen. Ich sah die große, dunkle Gestalt bewegungslos auf dem Rücken liegen und geriet beim Atmen aus dem Rhythmus.
Ich kniete mich neben sie.
Meine Hände streichelten über die Wangen, zuckte aber wieder zurück, als ich das Blut sah, das die Kehle meines Freundes wie ein makabrer Schal bedeckte.
Starre Augen, ein offenstehender Mund. Das Gesicht in einem letzten Schrecken zur Maske erstarrt.
Er lebte nicht mehr.
Ich schloss ihm die Augen und fühlte mich elend. Er war ein Mensch gewesen, der auf das falsche Pferd gesetzt hatte, besessen von einem Forschergeist, der Grenzen eingerissen und seinen Blick für Gut und Böse hatte verschwimmen lassen. Einen derartigen Tod hatte er nicht verdient.
»Good bye, Clifford. Möge dir der Allmächtige gnädig sein…«
Nach diesen Worten stand ich auf.
Kara schaute mich an.
Sie nickte.
»Wo ist Zeo?«
»Es gibt sie nicht mehr.«
Diese Antwort reichte mir aus.
***
Ich hatte mir zwei Wasserflaschen aus der Tasche genommen und sie völlig geleert. Kara hatte mir dabei zugeschaut. Zwischen den einzelnen Schlucken hatte ich ihr meine Geschichte kurz erzählt, und sie war nicht einmal sehr überrascht gewesen.
Ich wollte natürlich wissen, wie sie hergekommen ist.
»Ganz einfach, John. Du weißt selbst, dass die Steine Mahner und Warner sein können. Sie waren es auch diesmal. Sie spürten, dass etwas Unheimliches aus den Tiefen der Vergangenheit zurückgekehrt war und dass dieses Unheimliche mich etwas anging. Es stimmt, ich habe Zeo gesehen, und ich erinnerte mich wieder an ihre wirklich fürchterlichen Bluttaten. Sie gehörte zu den schlimmsten Gegnern.«
Ich setzte die Dose ab. In ihr schwappte noch ein Rest Wasser.
»Und jetzt gibt es sie nicht mehr?«
»So ist es.«
»Einen Augenblick. Es gibt sie überhaupt nicht mehr?«
»Ja.«
»Wie…«
Kara berührte mich sanft, und ebenso sanft lächelte sie auch. »Du brauchstdir keine Gedanken zu machen. Das Schwert mit der goldenen Klinge hat sie zu dem gemacht, was sie eigentlich schon immer war, da konnte auch ihre äußere Hülle nicht darüber hinwegtäuschen. Zu einem Schatten, John.«
Ich nahm es hin, es blieb mir nichts anderes übrig. Sie war eingegangen in die Nacht.
Ich sprach Kara auf den Riesen an. »Was ist mit ihm?«
»Ich werde ihn mit meinem Schwert vernichten, wenn du gegangen bist, John.«
»Ja, ich werde gehen…«
»Kommst du allein zurück?«
»Sicher, Kara. Und ich möchte auch allein zurück, denn dieser Fall war für mich eine menschliche Enttäuschung.« Ich küsste sie auf beide Wangen und bat sie, Myxin und den Eisernen Engel zu grüßen.
Dann ging ich davon.
Ein einsamer Mann inmitten einer gewaltigen Grabstätte…
ENDE
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